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Aus dem Bereich historisch bedeutsame Dokumente der Schulpsychologie der Rubrik Aus den Ländern schreibt Jürgen Rudolph im vierten Text einen Artikel darüber, wie die schulpsychologische Beratung in das Bremer Schulsystem eingeführt wurde, wie der Schulpsychologische Dienst aufgebaut und ausgebaut wurde (Teil 1), wie er gearbeitet hat, bis er schließlich wieder aus dem Schulleben verschwinden mußte, allerdings nach dem "Beratung" in das Bremer Schulsystem fest installiert war (Teil 2).

In den Berichten aus Bremen sind folgende Texte enthalten:

  1. Entwicklungslinien der Schulpsychologischen Beratungsdienste in der Stadtgemeinde Bremen – Ist die Schulpsychologie in Bremen ein Opfer des Reformeifers der Bildungsbehörde geworden?" (1964 – 2010); Teil 1, Teil 2, Teil 3
  2. "Bremen weiterhin im Reformeifer : Die Einrichtung von Zentren für unterstützende Pädagogik (ZuP) und regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBUZ)" (2010 -2015); (Teil 1, Teil 2)
  3. "Schulpsychologie in Bremen – Quo vadis?" (1964 – 2015)
  4. Artikel "Der Schulpsychologische Dienst Bremen von 1964 bis 2007 - Die Einführung der psychologischen Schulberatung in Bremen" (Teil 1, Teil 2

Im Bericht wurden in Achtung der menschlichen Vielfalt die Begrifflichkeiten an die Konventionen unserer Internetpräsenz angeglichen. Somit möchten wir eine gendersensible Sprache verwenden, durch die sich alle Menschen angesprochen fühlen.

Der Schulpsychologische Dienst Bremen von 1964 bis 2007 - Die Einführung der psychologischen Schulberatung in Bremen

Schüler:innen standen während der frühen sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in der Schule unter der Beobachtung des Schulärztlichen Diensts, der im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Gesundheitsfürsorge mit seinen Untersuchungen und Empfehlungen z.B. die Einschulung und regelmäßige Folgeuntersuchungen die Schüler:innen begleitete und auch die Schule veranlaßte, die pflichtgemäßen Reihenimpfungen für sie zu organisieren. Gegenüber dieser Öffnung der Schule für das Gesundheitsressort, fand aber der Unterricht und fanden die pädagogischen Bewertungen und Entscheidungen weitgehend hinter der "verschlossenen Schultür" statt. Im Sinne einer "Beratung" gab es in Bremen zwar die sogenannten Erziehungsberatungsstellen für familiäre Nöte, während in dem seit 1950 geltenden Schulverwaltungsgesetz so etwas wie "Beratung" noch nicht einmal angedacht war.

Andererseits machte schon seit 1920, unterbrochen durch das Dritte Reich, die Wissenschaft der Psychologie mit ihren Erkenntnissen zur Wahrnehmung, zum Lernen, zum Erfassen des Erleben und Verhaltens etc. mit ihrer Bedeutung für die Pädagogik auf sich aufmerksam. Schulbehörden begannen schließlich, Psycholog:innen mit deren psychologischer Beratungskompetenz zur Unterstützung des Schulgeschäfts einzustellen, auch wenn Pädagog:innen sich manchmal damit in ihrer eigenen psychologischen Kompetenz bedroht sahen.

So gab es seit 1959 bereits einen Schulpsychologischen Dienst in der Seestadt Bremerhaven, auf dessen Existenz später auch in der Stadt hingewiesen wurde, vermutlich aber ohne sich an dessen Struktur und Arbeit orientieren zu wollen. Auch in Bremens Nachbarstädten gab es bereits Schulpsychologische Dienste, so z.B. in Hannover mit dem Namen "Schulpsychologischer Dienst" und vor allem auch die "Schülerhilfe" in Hamburg, die schließlich aus der 1931 gegründeten "Schülerkontrolle" und später sogar "Schulpolizei" in eine Institution der Schulberatung ab 1953 verwandelt wurde.

In Bremen wurde die Schaffung einer Schulpsychologischen Dienststelle weder von der Lehrerschaft noch der Schulverwaltung, sondern vor allem von der FDP-Abgeordneten Johanne Lohmann angestrebt, die vor dem Krieg zeitweise in den USA gelebt und aus denen sie 1951 politische Vorstellungen zur Durchsetzung von Frauenrechten und die Verhinderung diktatorischer Bestrebungen nach Bremen mitgebracht hatte, die sie hier für den Ausbau und die Verbesserung des Schulwesens einsetzte.

Als Bürgerschaftsabgeordnete und Mitglied der Deputation für allgemeinbildende Schulen setzte sie 1963 mit ihrem Antrag durch, auf der "Schaffung einer Stelle nach BAT III für eines Schulpsychologen zu beharren", die in einer späteren Sitzung haushaltsmäßig für 1964 eingeplant wurde.

In der 4. Sitzung der Bremer Stadtbürgerschaft am 3. Februar 1964 begründete Frau Lohmann den Gemeinschaftsantrag von FDP und SPD - unter dem Tagesordnungspunkt 211 "Sonderschulen" -, der erreichen sollte, "dass für die Lehrer aller Schularten ein solcher Schulpsychologe zur Beratung zur Verfügung steht". Sie wies einführend darauf hin, dass andere Städte, unter anderem auch die Schwesterstadt Bremerhaven, schon seit Jahren gute Erfahrungen mit einer solchen Berater:in für Lehrer:innen und Eltern gemacht hätten bei Zweifelsfällen in Ausleseverfahren, bei der Einschulung in die Sonderschule und bei Fällen von Erziehungsschwierigkeiten. Die Kinder würden früh in einen Leistungswettbewerb und vor Lebenslauf entscheidende Weichen gestellt, wofür Erzieher:innen und Eltern weitgehende Hilfe angeboten werden müsse. Differenzierte Möglichkeiten müßten entwickelt werden, um die Gründe für Fehlleistungen und Versagen der Schüler:innen zu entdecken, damit sich keine schwierigen Persönlichkeiten entwickeln könnten, die auch die Allgemeinheit belasten würden.

Es war sicherlich kein Zufall, dass Johanne Lohmann in dieser Montagssitzung der Bürgerschaft, in der sehr viel entschieden werden sollte, von vornherein um die Erlaubnis gebeten hatte, diesen Änderungsantrag (238) mit dem Antrag auf die Einstellung von zwei Kindergärtner:innen für die Gehörlosenschule (239) zur Abstimmung stellen zu können. Sie schnürte damit offensichtlich ein Paket, dass wohl nicht abgelehnt werden konnte.

Nachdem Frau Lohmann nach dem Antrag 238 auch den den Antrag 239 begründet hatte, erfolgte Beifall von der FDP und SPD und keinerlei Diskussion, worauf Präsident Hagedorn die Beratung als abgeschlossen ansah und zur Abstimmung aufrief.

Die Änderungsanträge 238 und 239 wurden einhellig von SPD, CDU und FDP angenommen – wie übrigens viele andere der behandelten Anträge - und damit quasi beiläufig auch eine Innovation für das Bremer Schulsystem beschlossen:

Die Beratung durch einen Schulpsychologischen Dienst als Teil der Schulverwaltung.

Das Ergebnis wurde am 4.2. 1964 im Weser-Kurier unter der Überschrift "Schulpsychologe soll Eltern und Schüler beraten" veröffentlicht

In der dazu entwickelten Stellenbeschreibung griff die Verwaltung vermutlich auch zurück auf die Vorgaben anderer Städte (z.B. Berlin), wobei in Bremen vor allem auf eine Abgrenzung von der bereits vorhandenen Erziehungsberatungsstelle geachtet wurde, die vor allem im Dienste der Familie stehe, während die Schulpsycholog:in ausschließlich der Schule zugewandt sein sollte, als Lehrer:innenberater:in bei Leistungsfragen Disziplin, Sorgenkindern, Schulreife, Einschulung, Umschulung zur Sonderschule, Lehrer:innenarbeitsgemeinschaften.

Vorausgesetzt für die Tätigkeit als Schulpsycholog:in wurden beide Lehrer:innenprüfungen sowie Schulpraxis, ein volles Psychologiestudium sowie praktische Erfahrungen als Assistent:in in psychologischen Institutionen, in der Berufsberatung und Lehrer:innenaus- und Fortbildung.

Für den Schulpsychologischen Dienst war von Anfang eine Stelle in der Besoldungsgruppe BAT III vorgesehen worden, die jetzt legitimiert war.

Dass dies nicht in Frage gestellt wurde, angesichts der Anforderung von zwei akademischen Ausbildungen plus Berufserfahrung, wofür normalerweise mindestens BAT II üblich war, mag an der noch nicht vorhandenen Erfahrung mit deren Leistungen und deren Annahme in den Schulen verbunden gewesen zu sein. Vielleicht hatte auch Frau Lohmann die Absicht, die Einführung einer notwendigen, aber nicht unbedingt innerhalb des Schulwesens gewünschten Innovation, durch möglichst geringe Kosten zu erleichtern. Denn andererseits erforderten andere anstehende dringende Aufgaben der Schulentwicklung, wie z.B. Abbau des immer noch vorhandenen Schichtunterrichts durch Schulneubau, bereits einen hohen Kostenaufwand.

Der Schulverwaltung waren sicherlich die von Frau Lohmann angesprochenen Probleme im Schulleben geläufig, deren Lösung durch die Einführung einer neuen Instanz wohl aber auch nicht ganz durchsichtig. Diese würde vielleicht auch eher akzeptiert werden, wenn deren Besoldung zumindest nicht gleichrangig wäre.

Schon mit dem Bürgerschaftsausschuss und noch ohne behördlich Konkretisierung wurde die Stelle für eine Schulpsycholog:in BAT III ausgeschrieben. Maria Marschner, die Frau des neuen Leiters des Jugendamtes in Bremen erfuhr so auch von der Ausschreibung. Sie hatte, wie ihr Mann, zunächst Sozialpädagogik studiert und danach noch ein Psychologiestudium abgeschlossen. Eine Bewerbung auf die Stelle hätte für sie die Chance eröffnet, ihrem Mann von Braunschweig nach Bremen folgen zu können und dabei auch nicht in den Verantwortungsbereich ihres Mannes einzutreten. Allerdings schien ihr die Dotierung mit BAT III unangemessen. Sie bewarb sich schließlich doch, auch in der von ihrem Mann gestützten Erwartung, dass sich die niedrige Stellenbewertung zukünftig wohl nicht aufrecht erhalten ließe.

Am 29. Mai 1964 stellte sich Dipl.-Psych. Maria Marschner der Deputation für die Allgemeinbildenden Schulen vor und wurde am 9. Juni 1964 einstimmig in die "Stelle eines Schulpsychologen bei der Schulverwaltung" eingewiesen. Noch vor der Entscheidung wollte die Initiatorin dieser Stelle, Johanne Lohmann, sich einen persönlichen Eindruck der Bewerberin verschaffen, was schließlich stattfand mit offensichtlich positivem Ergebnis, nachdem geklärt war, dass dies im Bewerbungsverfahren zulässig war.

Nach der gelungenen Besetzung der Stelle wurden in der Behörde deren weitere Bedingungen konkretisiert.

Am Juli 1964 begründete die Senatskommission für das Personalwesen die Stellenschaffung 1 Schulpsycholog:in Verg.Gr. III BAT mit den genannten Bedingungen.

Angesiedelt werden sollte die Referent:in für den "Schulpsychologische Dienst" zusammen mit der Referent:in "Überregionale und internationale Angelegenheiten der Kultur- und Schulpolitik".

Die Positionierung des Schulpsychologischen Dienstes in einem solchen "Stabsreferat" direkt unter der Landesschulrät:in, aber mit einer Zuständigkeit für die untere Ebene des Schulsystems, das aber mit nur einer einzigen Stelle, läßt dies auch als ein Art "Versuchsballon" ansehen, für den die einzustellenden Protagonist:innen - unter dem Schutz der Behördenspitze - dessen "Wert" womöglich erst einmal beweisen sollten.

Der Schulpsychologische Dienst Bremen von 1964 bis 1968 Maria Marschner nahm am 1. September 1964 ihre Tätigkeit als Schulpsychologin im Schulpsychologischen Dienst Bremen auf.

Mit Frau Marschner war nun eine Diplompsychologin eingestellt worden, die zwar über eine Doppelqualifikation verfügte, aber nicht über die geforderte abgeschlossenen Lehrerausbildung mit entsprechender Erfahrung. Dafür brachte sie als Frau des Jahrgangs 1928 sozialpädagogische Berufserfahrung, eine junge psychologische Ausbildung und entsprechendes Interesse, aber auch eine sozialdemokratische Haltung und einen sozialdemokratischen familiären Hintergrund mit. Auch ihre Lebenserfahrung der durch den Krieg unterbrochenen Schulausbildung sowie Flucht und Tätigkeit als Krankenschwester, könnten dafür gesprochen haben, ihr den Versuch eines Schulpsychologischen Diensts in Bremen - auch gegen möglichen Widerstand - zu zu trauen.

Aufgrund der Dotierung und der Anforderung an die Stelle ist es durchaus möglich, dass weitere Bewerbungen, besonders auch durch männliche Diplompsychologen, gar nicht vorlagen, was aber nicht mehr nachvollzogen werden kann.

Nachdem zunächst geplant war, den Schulpsychologischen Dienst in der Behörde am Dobben 32 unterzubringen, wurde Maria Marschner sinnvoller Weise doch ein Arbeitsbereich in der 1. Etage der Sonnenstraße 2 zugewiesen, allerdings ohne Berücksichtigung der Arbeitserfordernisse einer psychologischen Dienststelle.

Der Schulpsychologin wurde mit Frau Döring auch eine Schreibkraft auf Anforderung zur Verfügung gestellt.

Maria Marschner begann ihr Beratungsangebot in ihrer Zuständigkeit für alle Schulen und Lehrer:innen in Bremen mit 64636 Schüler:innen und wurde von der Bremer Nachrichten im November mit dem Artikel "Psychologie hilft Sorgenkindern" begrüßt, in dem auf das "noch geheimnisvolle" Fach Psychologie, ihre berufliche und persönliche Entwicklung sowie ihre Eigenart als Schulpsychologin eingegangen wurde: "mit Charme und Wissen".

Das Angebot wurde sofort so gut angenommen, dass bereits im nächsten Frühjahr in der Deputation eine 2. Stelle ausgehandelt wurde. Der Landesschulrat hatte Maria Marschner zwar anvertraut, dass es in der Schule auch Vorbehalte gegenüber der Schulpsychologie geben könnte, was für sie, wenn überhaupt, nur in den Gymnasien spürbar geworden war.

Der schulischen Öffentlichkeit stellte Maria Marschner ihre Tätigkeit in einem ersten Rechenschaftsbericht im Bremer Schulblatt 1966 vor, wobei sie auf die noch nicht so bekannten Prinzipien der schulpsychologischen "Schülerhilfe" hinwies:

"Der Schulpsychologe ist beratend tätig, er erteilt keine Weisungen und entläßt den Lehrer nicht aus seiner pädagogischen Verantwortung für seine Schüler, sondern bemüht sich gemeinsam mit der Schule und dem Elternhaus um die Lösung der Probleme."

Ihre Tätigkeit beginne dort, wo die "zumutbaren Grenzen der Lehrer" lägen. Mit Hilfe erprobter Methoden bemühe sich der Schulpsychologische Dienst, das Kind in seinem Einzelschicksal und in seiner spezifischen Umwelt zu begreifen und daraus seine Schwierigkeiten und seine Stellung im Klassengefüge zu verstehen. Obwohl die Tätigkeit am Einzelfall ansetze, ziele sie auch auf den sozialpsychologischen Effekt einer besseren Integration.

Die erste Schulpsychologin in Bremen war zwar fachlich auf sich gestellt, konnte aber auf die Unterstützung des Landesschulrats zählen, pflegte aber auch unterstützende Kontakte mit dem Schulpsychologischen Dienst Hannover und auch mit der Braunschweiger Psychologie-Professorin Elisabeth Müller-Luckmann, die sich mit der Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Kindern und Jugendlichen maßgebend beschäftigte.

Es zeigte sich, dass die Schulpsychologie mit 249 Anmeldungen sehr gut angenommen worden war, die Lehrer:innenschaft und sogar die Schulaufsicht waren daran mit 137 "Fällen" beteiligt, eine Kooperation mit den mit Schulärzt:innen und Erziehungsberatungsstelle bestand und sogar Eltern hatten sich auf eigne Initiative an den Schulpsychologischen Dienst gewandt.

Es ging um 181 Jungen und 68 Mädchen von 6 bis 19 Jahren mit Schwerpunkt in der Grundschule. Die behandelten Probleme umfaßten allgemeines und spezielles Schulversagen, spezielle Lernschwierigkeiten wie Lese-Rechtschreibschwäche und Rechenschwäche, Stören, Aggressionen und Schulschwänzen, Beziehungsstörungen und z. B. auch Schulangst.

Als Ergebnis wurden vom Schulpsychologischen Dienst u.a. folgende Maßnahmen empfohlen oder veranlaßt: 34 Umschulungen in die Sonderschule, aber auch 4 Rückschulungen aus einer Sonderschule, Umschulungen in Nachbarschulen oder in Legastheniker:innenklassen, Heim- und Internatsunterbringungen und Einweisungen in die Jugendpsychiatrie.

Etabliert hatte sich auch der Ablauf einer schulpsychologischen Intervention, bei der sich nach der Exploration der Auftraggeber und Betroffenen vor der Beratung meist eine psychodiagnostische Testuntersuchung anschloß.

Insgesamt ist anzunehmen, dass die fachliche Mitwirkung der Schulpsychologie an den Entscheidungen von den erziehenden Personen als Unterstützung empfunden wurde, die so intensiv nachgefragt wurde, dass sie schließlich von einer Psychologin allein nicht mehr leistbar war.

Ende April 1966 lagen der Behörde 6 Bewerbungen für die inzwischen beantragte zweite Psycholog:innenstelle im Schulpsychologischen Dienst vor, von denen letztlich nur 2 ernsthafte Bewerbungen übrig blieben, woraus man sich für Dipl.-Psych. Dagmar Friedrichsen entschied, die am 16. Mai 1966 ihren Dienst antrat.

Dagmar Friedrichsen hatte schon während ihres Psychologiestudiums in Bonn im Schulpsychologischen Dienst Bremen ihr Pflichtpraktikum abgeleistet, hatte sich so also wohl schon bei Maria Marschner bewährt und war außerdem die Tochter des stellvertretenden Jugendamtsleiters.

Auch Dagmar Friedrichsen war Berufseinsteigerin, brachte aber schon die Ziele einer jüngeren Psycholog:innengeneration mit, die neben der gutachterlichen Beratung auch therapeutische Aufgaben der Schulpsychologie sah.

Erst jetzt wurde ein interner fachlicher Austausch im Schulpsychologischen Dienstes möglich, der jetzt erweitere Diensträume im 3. Stock der Uhlandstraße 53 beziehen konnte, in der die Landesbildstelle untergebracht war.

Richtungsweisend für die zukünftige Entwicklung des Schulpsychologischen Dienstes konnte jetzt die Zuständigkeit der Schulpsychologinnen auf 2 Schulbezirke aufgeteilt und so das Verhältnis Schüler:innen zu Schulpsychologin halbiert werden. Denn es wurden zwei etwa gleichgroße Bezirke jeweils mit allen Schulformen gebildet, Maria Marschner war zuständig für den Schulbezirk I mit Schulen der Schulaufsichtsbezirke 1.2,6,7, 8 Gymnasien und Berufsschulen, Dagmar Friedrichsen den Bezirk II mit den Schulen der Schulaufsichtsbereiche 3,4,5, und auch Schulen aus 7, Gymnasien und berufsbildende Schulen.

Das Wagnis, einen Schulpsychologische Dienst auch in Bremen zu installieren, schien damit durch die beiden Jungen Frauen in einen Erfolg umgesetzt worden zu sein.

Auch wenn dieser Dienst auch bei den innerbehördlichen Kooperationspartner:innen, z.B. den Schulaufsichtsbeamt:innen anerkannt wurde, blieb dieses Referat, das eben nicht mit Personen besetzt war, die auch eine Lehrer:innenausbildung hatten, mit ungeklärter Zukunft ein Fremdkörper im Umfeld der Pädagog:innen.

Die Schulpsychologinnen konnten z.B. nicht verbeamtet werden, weil sie kein "Referendariat" nachweisen konnten, da Laufbahnen in der Schulbehörde ausschließlich eine Lehrer:innenausbildung voraussetzten. Dies konnte erst später "geheilt" werden durch einen Vergleich mit Ingenieur:innen der Baubehörde, die ebenfalls ohne Referendariat beamtet werden konnten.

Den Schulpsychologinnen wurde zwar einen hohe fachliche Kompetenz zugeschrieben und sie standen hierarchisch auch direkt unter dem Landesschulrat, ihre Besoldung mit BAT III lag dagegen weit unter den Beamt:innengehältern der Kolleg:innenen Schulräte mit ihren A15-Gehältern.

Es wurde auch untersucht, wo die Schulpsychologie im Organisationsplan der Bildungsbehörde untergebracht werden könnte. Im Januar 1967 war sie direkt unter dem Landesschulrat mit der Kennziffer 07, zusammen mit der schulpraktischen Ausbildung der Lehrer:innen und Lehrer:innenfortbildung (05) und Ausbildung der Studienreferendar:innen (06) verortet, im Mai des Jahres mit denselben Referaten plus Schulaufsicht als 092.

"Beratung" im Schulwesen mit ihrer fachlichen Verantwortung - ohne jegliche Weisungsbefugnis - wurde zwar inzwischen als wichtigen Faktor anerkannt, ihr Wert aber geringer als die direkte pädagogische Verantwortung eingeschätzt.

1967 wurde Dagmar Friedrichsen durch Heirat zu Dagmar Jacobsen, der Weser-Kurier meldete am 31.8.1967, dass der Andrang von Jahr zu Jahr zunähme, 1996 seien sogar 291 Untersuchungen vorgenommen worden, Wartelisten seien eingerichtet worden und dass es absehbar wäre, "dass zwei Psychologinnen auf die Dauer nicht ausreichen würden".

Was für die jungen verheirateten Schulpsychologinnen zu erwarten war, trat bald auch ein:

Maria Marschner und Dagmar Jacobsen wurden schwanger und brachten eng aufeinander folgend je einen Sohn zur Welt, wodurch sie ihre Tätigkeit einstellen und schließlich aufgeben mußten, da noch keine Unterbrechung der Anstellung für die Kindererziehung gegeben war. Beide blieben aber der Psychologie verbunden, Frau Marschner sogar mit der Schule, da sie später eine private Praxis u.a. für psychologische Begutachtung von Kindern und Jugendlichen führte, Frau Jacobsen engagierte sich ehrenamtlich in der Telefonseelsorge.

Schon Anfang 1968 erfuhren die Schulen, dass die Wartezeit zur Zeit 6 Monate betrage und ein Anmeldestopp notwendig sei. Ab 15.5.1968 blieb der Schulpsychologische Dienst "durch Ausscheiden bzw. Beurlaubung beider Schulpsychologinnen bis auf weiteres unbesetzt". Anfragen seien an des Vorzimmer des Schulpsychologischen Dienstes zu richten.

In diesem Jahr der "Straßenbahn Unruhen" in Bremen blieb der Schulpsychologische Dienst dann von Mai bis November geschlossen. Am 2. September wurde zwar die Diplompsychologin Ellen Bockmann als neue Schulpsychologin eingestellt, die Untersuchungen sollten aber erst Ende November wieder beginnen, da zunächst umfangreiches Material aufzuarbeiten sei.

Die erste Phase des Schulpsychologischen Diensts Bremen endete zwar mit seiner "Arbeitsunfähigkeit", zuvor hatte aber die psychologische Unterstützung schulischer Maßnahmen und Entscheidungen durch die beiden jungen Schulpsychologinnen breite Anerkennung gefunden und einen großen Beratungsbedarf aufgedeckt, der nun auch wieder abgedeckt werden mußte.

Der Schulpsychologische Dienst Bremen von 1968 bis 1973

Am 1. November 1968 trat Uwe Wiest als neuer Schulpsychologe seinen Dienst an und die Behörde teilte mit, dass der schulpsychologische Dienst schon einen Monat später wieder in vollem Umfang aufgenommen werden könne.

Dipl.Psych. Uwe Wiest kam von der Universität Hamburg, sicher mit einem Empfehlungsschreiben von Professor Reinhard Tausch, bei dem er sich in einem Promotionsverfahren befand.

Reinhard Tausch baute seit 1965 an der Universität Hamburg mit Annemarie Tausch im Psychologischen Institut einen Forschungsbereich und Studiengang der klinischen und pädagogischen Psychologie gemäß der Prinzipien von Carl Rogers auf, die Uwe Wiest natürlich mit nach Bremen brachte und die bald aber auch durch die nicht direktive Pädagogik und die klientenzentrierte Beratung Eingang in die Schule – nicht nur in Bremen - fand.

Uwe Wiest übernahm den Schulbezirk I (von Frau Marschner), Ellen Brockmann behielt den Bezirk II (von Frau Jacobsen). Der Schulpsychologische Dienst zog mit in das neu gebaute Gebäude des Senators für Bildung am Rembertiring 8-12 und erhielt dort Räume in der 6. Etage.

Anfang 1970 war das neue Team allerdings wieder überlastet und der Senator für Bildung teilte mit, dass die Wartezeit mehr als 6 Monate betrage und die beiden Schulpsycholog:innen sich zu einem Anmeldestopp von einem halben Jahr gezwungen sähen. Lediglich dringende Anmeldungen (bei Suizidgefahr, Gefährdung der eigenen körperlichen Unversehrtheit und der von Lehrer:innen und Mitschüler:innen) könnten entgegengenommen werden, Sprechstunden blieben offen.

Es entsprach schon der Erfahrung der ersten Schulpsychologinnen, dass die Beratungsanforderungen aus Bremen Nord nur mit erheblichem Fahrzeitaufwand nachgekommen werden konnte. Folgerichtig wurde auf Wunsch der Schulpsycholog:innen für Bremen Nord eine eigene Schulpsycholog:innenstelle ausgeschrieben und nach geeigneten Räumen gesucht. Bemerkenswert dabei ist, dass die Stelle mit BAT II und Verbeamtungsmöglichkeit ausgeschrieben wurde, dass keine Lehrerausbildung verlangt und bei den Räumlichkeiten z.B. an einen Testraum, Warteraum und ein Büro für eine Sekretär:in gedacht wurde.

Die Stelle wurde am 1.1.1971 besetzt, wohl von einem Diplompsychologen Thomas, aus unbekannten Gründen bald ersetzt durch Dipl.-Psych. Peter Hegeler.

Ellen Brockmann verließ bald den Schulpsychologischen Dienst und nahm eine Stelle in einer Psychiatrischen Klinik im Harz an, wurde aber bald ersetzt durch den Bremer Diplompsychologen Wulf Gagel, der das Team durch seine auch tiefenpsychologische Fachorientierung ergänzte. Damit bestand der Schulpsychologische Dienst fortan aus 3 männlichen Schulpsychologen, die sich unter der Referatsleitung von Dr.Uwe Wiest um die Bewältigung der täglichen Anforderungen und um einen weiteren Ausbau ihres Dienstes kümmern mußten.

Der Beratungsbedarf in der Schule hatte sich inzwischen heftig erweitert durch die auch in der Schule grassierende Drogenproblematik. Als Reaktion darauf wurde Mitte 1972 in Abteilung 7 der Bildungsbehörde ein neues Referat mit der Organisationskennziffer 75 ein gerichtet: "Angelegenheiten des Drogenmissbrauchs".

Für diese Aufgaben wurde zunächst praktischer Weise ein kundiger Lehrer eingesetzt: Herr Uetz. Eine weitere und immer wichtiger werdende Beratungsleistung der Schulbehörde, angesichts der Ausdifferenzierung der schulischen Bildungsgänge, bestand in der Schullaufbahnberatung, die durch den Oberamtsrat Rudolf Reinke angeboten wurde und bald mehr Nähe zum Schulpsychologischen Dienst als zur Schulverwaltung hatte. Bereits für die Haushalte 1972 und 1973 waren Stellenneuschaffungen für den Schulpsychologischen Dienst beantragt, die aber aus finanziellen Gründen aufgeschoben worden.

Im Interesse des weiteren Ausbaus der Schulberatung wandte sich der Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst im August 1972 mit einer Erklärung über den Schulpsychologischen Dienst an die Presse, worüber einen Tag später auch ein Artikel im Weser-Kurier erschien. Dadurch wurden der Öffentlichkeit gegenwärtige und durch einen weiteren Ausbau zukünftig mögliche Arbeitsfelder von Psycholog:innen in der Schule und die Arbeitsweise des Dienstes vorgestellt, aber auch das Fernziel des Ausbaus: 10 Mitarbeiter:innen.

Das gegenwärtige und ein zukünftiges Konzept der Schulpsychologie wurde von Dr. Uwe Wiest in der Deputationsvorlage 165 ausführlich beschrieben, wobei die Einzelfallhilfe als notwendig für einen Einstieg in weitere Tätigkeitsfelder beschrieben wurde, für die Psycholog:innen im Schuldienst gebraucht würden. Dabei z.B. die Schullaufbahnberatung, empirische Untersuchungen, Unterstützung der Curriculumentwicklung, Weitergabe von psychologischen Verfahren an Lehrer:innen, Bildungsberatung, aber auch die Tätigkeit an größeren Schulen und in sonderpädagogischen Einrichtungen. Uwe Wiest bestand dabei auf einem zentralen Schulpsychologischen Dienst mit Einbindung der Schulpsycholog:innen an Schulen und schlug sogar eine Einschränkung der Individualhilfe zugunsten übergreifender schulpsychologischer Tätigkeiten vor. Aus der Behörde waren vor Forderungen nach Steuerung der Inanspruchnahme des Schulpsychologischen Dienstes nach Dringlichkeit und Schwerpunkten gekommen. Der Ausbauplan enthielt dagegen Vorschläge für die Spezialisierung von neuen Schulpsycholog:innen für die Lehrplangestaltung der einzelnen Schulstufen, empirische Untersuchungen und z.B. eine Stelle für die Lehrer:innenfortbildung. Nachdem diese Vorlage am 7.2.1973 unter dem Vorsitz von Senator Thape diskutiert war, wurde mitgeteilt, dass die Deputierten sich dafür einsetzten wollten, daß im Haushalt 1974 die Voraussetzungen für den Ausbau des Schulpsychologischen Dienstes geschaffen werden. Rückenwind hatte der Ausbau des Schulpsychologischen Dienstes auch durch den deutschen Bildungsgesamtplan, der für 1975 die Zuständigkeit einer Schulpsycholog:in für 15000 Schüler:innen, ab 1980 für 5000 Schüler:innen vorschlug.

Einige Tage vorher, am 5.Februar 1973, beschloss die Geschäftskommission des Senats einen neuen Organisationsplan für den Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst, der das "Referat 42, Schulpsychologischer Dienst, Schullaufbahnberatung" als Teil der Hauptabteilung 1 "Schulen" in der Abteilung 4 mit der "Schulaufsicht Bremen" (Ref. 40) und "Schulaufsicht Bremerhaven (Ref.Ref. 41) ausweist. Der Schulpsychologische Dienst, der 1964 in der Verwaltungshierarchie direkt unter dem Landesschulrat stand, hatte jetzt eine Reihe von Vorgesetzten: Senator Thape - Vertreter im Amt SD Keuser - Hauptabt.I, LschR Banse - Abt. 4, OschR Eisenhauer - Ref. 42, Psych. Rat Dr. Wiest. Der Schulpsychologische Dienst hatte inzwischen das senatorische Gebäude wieder verlassen und war in ein städtisches Gebäude Am Dobben 12 bis 14 eingezogen. Die 3 Schulpsychologen hatten aber wohl ihre guten Beziehungen zur Schulverwaltung mitgenommen.

Im November 1973 erfolgte die Ausschreibung von 3 Schulpsycholog:innenstellen im Weser-Kurier mit der Aufgaben: eigenverantwortliche Beratung von Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern, Mitwirkung bei Problemen, die sich aus der Schulstruktur ergeben, Mitwirkung in der Lehrer:innenfortbildung. Vorausgesetzt wurde nur das Diplom in Psychologie, aber Berufserfahrung und eine Therapieausbildung.

Angeboten wurde jetzt BAT IIa/Ib sowie später A13/A14 bei Vorliegen der beamtenrechtlichen Voraussetzungen. Ferner gab es jetzt in der Bildungsbehörde neben dem Schulrat und dem Oberschulrat und Landesschulrat der Pädagog:innen auch eine Laufbahn für beamtete Psycholog:innen: Psychologierat, Oberpsychologierat und Psychologiedirektor.

Der Schulpsychologische Dienst Bremen von 1974 bis 2007

von Jürgen Rudolph

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