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Unter der Rubrik Aus den Ländern beginnen wir mit Bremen. Birgit Muhl und die Sektion Schulpsychologie des BDP übersandten uns Zusammenfassungen zu Entwicklungen in Bremen seit 1964 bis 2015, die von Ihr und Dr. Jürgen Rudolph stammen. Mit freundlicher Genehmigung der beiden Autoren dürfen wir diese Texte veröffentlichen und wünschen euch viele Anregungen aus diesen historisch bedeutsamen Dokumenten.

Enthalten sind folgende Texte :

  1. "Entwicklungslinien der Schulpsychologischen Beratungsdienste in der Stadtgemeinde Bremen – Ist die Schulpsychologie in Bremen ein Opfer des Reformeifers der Bildungsbehörde geworden?" (1964 – 2010); Teil 1, Teil 2, Teil 3
  2. "Bremen weiterhin im Reformeifer : Die Einrichtung von Zentren für unterstützende Pädagogik (ZuP) und regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBUZ)" (2010 -2015) (Teil 1, Teil 2)
  3. "Schulpsychologie in Bremen – Quo vadis?" (1964 – 2015)
  4. Artikel "Der Schulpsychologische Dienst Bremen von 1964 bis 2007 - Die Einführung der psychologischen Schulberatung in Bremen" (Teil 1, Teil 2

Wir werden in den kommenden Wochen die Berichte Stück für Stück veröffentlichen und beginnen mit dem ersten. Entsprechend unserer internen Absprachen einer gendergerechten Sprache passen wir Text (ohne die Zitate) in ihrer Formulierung, jedoch nicht im Inhalt an (Anm. d. Red.) Doch nun zum ersten Teil der Serie Aus den Bundesländern - Bremen.

Teaser - Berichte aus Bremen - Teil 1

Muhl, B. (2022) Entwicklungslinien der Schulpsychologischen Beratungsdienste in der Stadtgemeinde Bremen - Ist die Schulpsychologie in Bremen ein Opfer des Reformeifers der Bildungsbehörde geworden?

Vorwort

Die Schulpsychologischen Beratungsdienste in der Stadtgemeinde Bremen haben eine rasante Entwicklung hinter sich; als Pioniere einer bislang unbekannten Beratungsform 1964 ins Leben gerufen und im Zuge der Bildungsreform weiter ausgebaut, finden sie sich Jahrzehnte später nach einer kurzen Übergangszeit in dem Zentrum für schülerbezogene Beratung (ZfsB) in den regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBUZ) wieder, einem umfassenden Beratungs- und Unterstützungssystem. Den Zentralen Schulpsychologischen Dienst und die Schulpsycholog:innen an Schulen gibt es seit 2007 in Bremen nicht mehr. Es ist ein Anliegen dieses Berichts, die Entwicklung der Dienste und der dort Tätigen nachzuzeichnen und nicht ganz in Vergessenheit geraten zu lassen, denn es liegt keine kontinuierliche Berichterstattung oder gar Chronik vor. Eine Weiterentwicklung wird auch zukünftig notwendig sein. Man kann allerdings die Gegenwart nur verstehen und die Zukunft gestalten, wenn man die Vergangenheit kennt.

1. Phase des Aufbaus der Beratungsdienste

2. Phase des Ausbaus der Beratungsdienste

3. Phase des weiteren Ausbaus und der Spezialisierung

In der Phase von 1968 – 1980 waren im Zuge der Bildungsreform die Schulpsychologischen Dienste weiter ausgebaut und regionale Beratungsstellen (Nord, Süd, Ost, Mitte-Ost, West) eingerichtet worden; ebenso war der Einsatz von Schulpsycholog:innen an Ganztags- und Modellschulen vorangegangen. Während sich der Personalbestand im Zentralen Schulpsychologischen Dienst in der Folgezeit bis auf einige Umsetzungen und wenige Ab- und Neuzugänge

  • Nord: Peter Hegeler und Brigitte Lück wechselten ihre Einsatzbereiche. Nach dem Ausscheiden von Brigitte Lück folgten für kurze Zeit nacheinander die beiden Lehrer:innen-Psycholog:innen Wolfgang Spatzek und Ingrid Lange-Schmidt und nach ihnen komplettierte Hilde Thimme von der GSW das Team im Norden;
  • Osten: Gudrun Steenken und Irene Hasenberg schieden nacheinander aus dem Dienst, letztere, um eine Praxis zu eröffnen;
  • West: Wolfgang Spatzek war für eine kurze Zeit für Schulen im Bremer Westen zuständig, bevor Barbara Sanders 1989 von der GSW zum Zentralen Dienst wechselte,
  • Süden: Hildburg de Boer und Brigitte Meyer-Becker waren für einige Jahre Mitarbeiterinnen im Süden, bevor ihnen Ute Lohs folgte

kaum veränderte, expandierte er im Bereich der Schulen, und zwar an Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen und Sonderschulen, bzw. Förderzentren. Möglich wurde das v.a. auch deshalb, weil unter den neu hinzu gekommenen Schulpsycholog:innen einige die Doppelqualifikation von Lehrer:in und Diplom-Psycholog:in aufwiesen und als Lehrer:in geführt wurden: Dr. Wolfgang Götz am Förderzentrum Burgdamm, Birgit Muhl am Schulzentrum an der Pestalozzi-Straße und an der GSW, Dr. Jens Frommhold am Gerhard-Rohlfs-Schulzentrum, sowie Wolfgang Spatzek an der GSM. Durch besondere Arbeitsplatzfördermaßnahmen kamen im Bremer Westen Maria Ernesti-Malek am Förderzentrum Oslebshauser Park und Gudrun Leuschner an der Grundschule am Halmer Weg zum Einsatz. Als soziales Brennpunktgebiet im Bremer Westen mit einem hohen Migrant:innenanteil fokussierte sich die Tätigkeit von Gudrun Leuschner auf die Arbeit mit türkischen Schüler:innen und deren Familien.

Profilierung der Aufgabenbereiche

Während Anfang der 70er Jahre die Entdeckung von Bildungsreserven durch diagnostische Untersuchungen noch im Vordergrund stand, wurden mehr und mehr Leistungsschwierigkeiten, Verhaltensprobleme sowie Fragen psychischer Störungen Thema schulpsychologischer Beratung und Therapie. Die innerhalb der Schulpsycholog:innenzunft intensiv geführten Diskussionen über Beratungskonzepte führten letztlich zu einem Umdenken und mündeten schließlich 1988 in der Konzeption vom "Paradigmenwechsel der Schulpsychogie"[^22] : weg vom individuums- und symptomorientierten, klinischen Denken hin zum systemorientierten Denken. Die historisch gewachsene Ausrichtung am gestörten oder störenden Kind, das betreut, diagnostiziert, begutachtet, gefördert oder diszipliniert werden müsse, griff nach diesem Verständnis zu kurz. Die Schulpsychologie in Deutschland verfolgte damit über die Einzelfallbetreuung hinaus das Ziel, stärker bei der Weiterentwicklung von Schule und Unterricht mitzuwirken, z.B. durch Schulversuche und Vermittlung neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse an die Lehrkräfte, um Entwicklungsprozesse der Lehrkräfte und der Schule zu fördern und um auch präventiv zu wirken.[^23]

In Bremen waren die Einzelfall- und Systemberatung schon in den Anfangsgründen als Aufgabenfelder benannt und praktiziert worden, wobei die Einzelfallberatung klar dominierte. Die fachtheoretische Diskussion trug sicherlich dazu bei, die Einzelfallberatung anders zu verstehen. Ihre Dominanz allerdings war in Bremen nie in Frage gestellt, nur dass sich das Beratungsverständnis erweitert hatte: Im Zentrum stand weiterhin die Einzelperson, die Schüler:in, nur dass sich der Blick und damit die Form der Beratung veränderte; die Eltern und die Lehrkräfte, die Klassen- und die Schulsituation wurden stärker miteinbezogen, nicht nur in der diagnostischen Phase, sondern v.a. auch in der Beratungsphase und bei weiteren Interventionen. Insofern war es nur folgerichtig, dass die systemische Familientherapie zur bevorzugten Ausbildungsrichtung wurde, wie u.a. bei den Schulpsychologinnen der GSW Angelika Nebel, Barbara Sanders und Birgit Muhl, während in den vergangenen Jahrzehnten tiefenpsychologische, verhaltenstherapeutische, gestalttherapeutische und gesprächspsychotherapeutische Ausbildungsgänge vorherrschten. In der systemischen Familientherapie ging es darum, möglichst alle Beteiligten in den Beratungs- und Unterstützungsprozess einzubeziehen, um in möglichst kurzer Zeit zu effizienten Ergebnissen zu kommen. Der Ansatz war problem- und lösungsorientiert. Er war nicht zuletzt deshalb so attraktiv, weil er im Vergleich zu den anderen Verfahren innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraumes Erfolge verhieß.

Ungeachtet der schulpsychologischen Profilbildung gab es immer wieder Bestrebungen, forciert auch von der Behörde, eine Spezialisierung der Aufgaben unter den Schulpsycholog:innen voranzutreiben; sollte heißen, dass die Schulpsycholog:innen neben ihren Schwerpunktaufgaben mit Lern- und Leistungsschwierigkeiten und emotionalen und sozialen Auffälligkeiten von Schüler:innen sich auf einzelne Fachthemen spezialisieren sollten. Im zentralen Schulpsychologischen Dienst war man der Anforderung nachgekommen, indem einzelne Schulpsycholog:innen die Zuständigkeit für besondere Bereiche erhielten: Norbert Boyer für den Bereich der Förderung, Wolfgang Spatzek für den Bereich der Supervision und Peter Hegeler für den Bereich Sekten und destruktive Kulte.

Die Entwicklung der Spezialisierung wurde v.a. auch am Förderzentrum für Entwicklungsgestörte an der Fritz-Gansberg-Straße vorangetrieben. 1981 kam mit Georg Hoffmann ein Schulpsychologe an die Schule, der zuvor in dem Elternverein autistischer Kinder tätig gewesen war und mit dem Übergang den Auftrag erhielt, eine Beratungsstelle für autistische Schüler:innen im Bildungsbereich aufzubauen. Jahrzehnte später kamen zwei eigenständige pädagogische Beratungsstellen für spezielle Lernprobleme hinzu: die "LRS-Beratungsstelle" und die "Beratungsstelle Mathematik", die 1999 mit den beiden Sonderpädagogen Markus Matheja und Michael Strosetzky besetzt wurden und ihren Sitz ebenfalls in dem Förderzentrum für Entwicklungsgestörte an der Fritz-Gansberg-Straße erhielten.

Was den Umgang mit den speziellen Lernschwierigkeiten wie Lese-Rechtschreib-Schwäche und Mathematikschwäche anging, sahen sich gleichzeitig alle Schulpsycholog:innen in dem zentralen Dienst wie in den Schulen als Ansprechpartner:innen, für die Diagnostik und Begutachtung in besonderen Fällen, wie auch für die Förderung, soweit das zu bewerkstelligen war. Einen besonderen Schwerpunkt setzten die Schulpsycholog:innen im Zentralen Dienst auf die Durchführung und Auswertung des LRS-Screenings, das sie für die Bremer Schüler:innen entwickelt hatten. Die Grundschullehrer:innen sollten einen guten Überblick über die Lese- und Rechtschreibleistungen ihrer Schüler:innen am Ende der 2. Klasse erhalten, um eine gezielte Förderung von einzelnen Schüler:innen vornehmen und um ihren Unterricht darauf aufbauend für die nächsten zwei Jahre ausrichten zu können. Ein Großteil der Schulpsycholog:innen hatte sich an der Standardisierung und Normierung der Tests beteiligt, darüber hinaus auch an der Entwicklung von weiteren Tests, wie z.B. den Sprachstandstests für ausländische Schüler:innen.

Ansätze von weiterer Spezialisierung zeichneten sich in späteren Jahren mit der Einrichtung der "Beratungsstelle Besondere Begabungen" im Zentralen Dienst ab, die von den Schulpsycholog:innen Hilde Thimme, Dr. Jürgen Rudolph und Karsten Koll ins Leben gerufen wurde. Das Phänomen "Schulvermeidung", gemeint war, dass Schüler:innen nicht regelmäßig und dauerhaft zur Schule kamen, saß der Politik und den Schulen seit Jahrzehnten im Nacken. Dem Problem mit Ordnungsmassnahmen zu begegnen, erwies sich nur in wenigen Fällen als erfolgreiche Strategie, zumal die genauere Analyse der Schulvermeidung verdeutlichte, dass ganz unterschiedliche Ursachen wie Schulschwänzen, Schulphobie und Schulangst dem Verhalten zu Grunde lagen. Dies führte dazu, dass 2001 in der Bildungsbehörde eine Stelle eingerichtet wurde, die sich ausschließlich mit diesem Phänomen beschäftigen sollte. Der Schulpsychologe Peter Hegeler nahm die Herausforderung an und arbeitete an einem Modell mit, das zukunftsweisend sein sollte. Alle Akteur:innen wurden an einen Tisch geholt: Die Schulen mit den Lehrkräften und sonstigem Personal, die Schüler:innen und die Erziehungsberechtigten, die Schulpsychologischen Dienste, die Schulärzt:innen, das Amt für Soziale Dienste mit den Sozialarbeiter:innen, die Polizei und weitere Dienste, die in der jeweiligen Region unterstützend tätig waren. In sog. Hilfskonferenzen, die regional regelmäßig stattfanden, wurden die Hintergründe der aktuellen Situation eines Kindes oder von Jugendlichen erörtert und je nach Lage darauf aufbauend verbindliche Hilfsmassnahmen beschlossen. Es war auch die Geburtsstunde der sog. Schulvermeider:innenprojekte, die 2001 durch eine Kooperation der Ressorts Bildung, Soziales, Inneres und Justiz eingerichtet wurden und Schulvermeider:innen temporär beschulten: z.B. die Stadtteilfarmen in Huchting und Walle, die Fahrradwerkstatt Osterholz-Tenever oder die Medienwerkstatt in Bremen Nord. Idealiter waren diese mit einer Lehrkraft und einer Sozialpädagogin besetzt.

Projekte und Modellversuche

Selbst wenn die Spezialisierung nur zögerlich voranschritt, so waren Projekte und Modellversuche verschiedenster thematischer Ausrichtung seit Jahren Teil der Arbeit der Schulpsycholog:innen. Sie waren Antworten auf Bedarfe, die von den Schulen angemeldet wurden und die dem zeitgenössischen Verständnis von Beratung entsprachen.

Was Birgit Muhl zunächst an einer Schule (Schulzentrum an der Pestalozzistraße 1988-1992) begann und zu einem Lagegespräch in der Bildungsbehörde führte, entwickelte sich in dem Zeitraum 1990 – 1992 zu dem Modellversuch "Supervision", bei dem Schulpsycholog:innen des Zentralen Dienstes, das WIS (Gert Jugert) und die Universität Bremen (Prof. Dr. Petermann) kooperierten. Er erwies sich als so erfolgreich, dass in den nächsten Jahren Schulpsycholog:innen an vereinzelten Schulen Supervision mit Schulleitungen und Lehrkräften durchführten. Es gelang allerdings nicht, Supervision den Stellenwert als integraler Bestandteil der Arbeitszeit der Lehrkräfte zuzuweisen, wie es in anderen sozialen Berufen üblich war und ist.

Ein weiterer Modellversuch, der ebenfalls die Kompetenz der Lehrkräfte stärken sollte, war die Beratungslehrer:innenausbildung, die sich in den Nachbar-Bundesländern Hamburg und Niedersachsen schon seit Jahren etabliert hatte. Die zweijährige Fortbildung für Lehrkräfte zum "Erwerb einer pädagogisch-psychologischen Beratungskompetenz" begann mit dem Schuljahr 1995/96 und wurde in Kooperation des Schulpsychologischen Dienstes mit der Bildungsbehörde und dem Wissenschaftlichen Institut für Schule (WIS) durchgeführt : Dr. Uwe Wiest, Peter Hegeler, Norbert Boyer, Erwin Jürgensen und M.A. Reinarz (WIS) sowie Inge Grothus-Neukirchen (SfBW). Trotz der großen Resonanz und Nachfrage gab es nur eine Fortsetzung im Schuljahr 1997/98. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass keine Mittel mehr zur Verfügung ständen. Der 2. Durchgang fand unter der Leitung von Dr. Uwe Wiest mit einem personell veränderten Team statt: Peter Hegeler, Birgit Muhl, Erwin Jürgensen und Dr. Gertrud Schmidt (WIS). Die inhaltliche Grundlage für die Fortbildung bildete das Curriculum aus Niedersachsen, das auf Bremer Verhältnisse angepasst wurde. Die enge Kooperation zwischen dem WIS, der Universität und dem Schulpsychologischen Dienst zeigte sich auch in der Mitwirkung der Schulpsycholog:innen bei der Schulbegleitforschung. Sie haben an etlichen Projekten zu verschiedensten Themen teilgenommen.

Neben diesen breit angelegten Modellversuchen gab es in jeder Region Projekte zu den unterschiedlichsten Themenfeldern und mit verschiedenen Adressatengruppen. In der Region West wirkten seit 1996 die Schulpsycholog:innen Barbara Sanders und Dr. Jürgen Rudolph bei dem Projekt "Offenes Ohr - Beratungsangebot durch junge Erwachsene" mit, das Lehrkräfte des Schulzentrums Walle der Sekundarstufe II in Kooperation mit der Universität Bremen und dem Schulpsychologischen Dienst für ihre Schüler:innen ins Leben gerufen hatten. Die Beratungsgespräche an der Schule übernahmen Psychologiestudierende im Rahmen ihres Pflichtpraktikums. Am Schulzentrum an der Pestalozzistraße und an der GSW bot Birgit Muhl für Lehrkräfte Supervision an und wirkte bei dem Arbeitskreis "Gesundheit und Bewegung" an der GSW mit, der von Lehrer:innen aus den Fachbereichen Sport und Hauswirtschaft ins Leben gerufen worden war, um gesundheitsfördernde Impulse für Schüler:innen, Eltern und Lehrkräfte an der Schule zu entwickeln. Das Projekt initiierte vielfältige Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen: Aktions- und Müslitage für Schüler:innen; Sport- und Spielnachmittage für Eltern, Schüler:innen und Lehrer:innen; ein Ruheraum und Entspannungsübungen unter Anleitung für Lehrkräfte; in Kooperation mit der Suchtprävention Seminare zum Thema "Essstörungen" für Lehrkräfte und ein besonderes Trainingsprogamm für Schüler:innen zum Thema Adipositas.

Ein neues Aufgabenfeld, das wiederum alle Schulpsycholog:innen in Bremen betraf, ergab sich aufgrund aktueller Ereignisse. Seit dem Amoklauf eines Schülers in Erfurt (2002) hatte ein Umdenken eingesetzt, was die Handhabung von Krisenfällen in der Schule anging. Nicht mehr der Einzelfalleinsatz schien die adäquate Antwort auf solch ein Gewaltereignis, stattdessen wurde die gesamte Schule in den Fokus für eine Intervention genommen. Von bayrischen Schulpsycholog:innen, die in Erfurt im Einsatz gewesen waren, gingen die Impulse für das Konzept "Krisenmanagement in Schulen" aus; andere Bundesländer zogen nach. Bremen ließ sich etwas mehr Zeit. Durch die gute Vernetzung der Bremer Schulpsycholog:innen mit Schulpsycholog:innen aus anderen Bundesländern gelang es, die bayrischen Schulpsycholog:innen zu einer Fortbildung ins Landesinstitut für Schule (LIS, früher WIS) nach Bremen zu holen. Im Mai 2004 fand die erste gemeinsame Fortbildung aller Bremer Schulpsycholog:innen zum Thema "Krisenmanagement in Schulen" statt. Die Veranstaltung konnte auch deshalb zustandekommen, weil die Unfallkasse Freie Hansestadt Bremen ihre finanzielle Unterstützung zusagte. 2005 gelang es, wiederum mit finanzieller Unterstützung der Unfallkasse, eine Fortsetzung mit den beiden Bremer Psychologinnen Ingrid Koop und Gudrun von der Marwitz zu dem Thema "Notfallintervention im Arbeitsbereich des Schulpsychologischen Dienstes" zu erreichen, in der es v.a. um Einblicke in die Traumadiagnostik und Traumatherapie ging. Diese Fortbildungen bildeten den Grundstein für das neue Aufgabengebiet "Krisen und Notfälle". Aufgrund dieser Fortbildungen war es möglich, dass die beiden Schulpsycholog:innen Birgit Muhl und Norbert Boyer eine erfolgreiche mehrtätige Krisenintervention nach dem Tod eines Schülers in der Stadtteilschule Obervieland (Dezember 2006) durchführten. Es sollten noch viele erfolgreiche Einsätze in den nächsten Jahren folgen.

4. Bestrebungen der Umorganisation der Beratungsdienste

Verunsicherung kam im Zentralen Schulpsychologischen Dienst auf, als 1986 der Bremer Senat beschloss, die Schulpsychologie mit der Erziehungsberatung zusammenzulegen. Als Begründung wurden die rückläufigen Schüler:innenzahlen angeführt, die eine Anpassung des Personalbestands möglich machen sollte. Eine Arbeitsgruppe in der Senatskanzlei unterzog die Dienste einer aufgabenkritischen Untersuchung und suchte nach Möglichkeiten, innerhalb der Neuordnung der Sozialen Dienste (NOSD) die verfügbaren Mittel mit möglichst großer Wirksamkeit einzusetzen. Nach ihrer Einschätzung hätten beide Dienste weitestgehend mit der gleichen Klientel und mit gleichen Problemlagen zu tun. Im Schulpsychologischen Dienst wehrte man sich mit den Hinweisen, dass der Schulpsychologische Dienst vorwiegend für schulische Problemlagen zuständig sei, derweil die Erziehungsberatung überwiegend mit familiären Problemlagen zu tun habe und dass beide Dienste den großen Nachfragen nicht gewachsen seien. Man sah in dem Vorschlag eher ein Sparkonzept als den Versuch, der Überlastung der beiden Dienste wirksam entgegen zu treten. Die Empfehlung wurde trotz der vorgegebenen Einsparquote des Senats und rückläufiger Schüler:innenzahlen nicht umgesetzt.

Haushaltspolitische Überlegungen des stark verschuldeten Bundeslandes Bremen und Spannungen zwischen der Bildungsbehörde und dem Schulpsychologischen Dienst trugen vermutlich dazu bei, dass die Bestrebungen einer weiteren Umorganisation nicht abebbten. 1989 war es zwischen Senator Franke und dem Schulpsychologischen Dienst zu einem öffentlichen Dissens in der Frage gekommen, wie der Übergang der Schüler:innen von der 4. Klasse in das neu gegründete bilinguale Gymnasium zu regeln sei. Der Senator erwartete, dass die Schulpsycholog:innen durch die Durchführung von Leistungstests dazu beitrügen, die Zuweisung von Schulplätzen abzusichern. Die Schulpsycholog:innen zeigten in dieser Frage fachliche Einigkeit und lehnten die generelle Testdurchführung für eine pädagogische Entscheidung konsequent ab, wobei sie von Lehrer:innenverbänden unterstützt wurden, die das Verfahren ebenfalls ablehnten. Der Senator zog sein Anliegen zurück, aber das Verhältnis zwischen dem Schulpsychologischen Dienst und der Bildungsbehörde, das zuvor schon angespannt war, blieb belastet.

Als Bremen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs aufgefordert war, neben einer Optimierung der Dienste auf eine "Verschlankung öffentlicher Haushalte" hinzuwirken, kam die Idee der Zentralisierung des Dienstes auf. 1997/98 gab es konkrete Pläne, den gesamten Zentralen Schulpsychologischen Dienst in ein Gebäude an der Weserbahn zusammenzufassen und damit die Regionalisierung aufzugeben. Nur durch den Protest der Schulpsycholog:innen und v.a. der Schulleitungen wurde von diesem Plan Abstand genommen, da man die Nähe zu den Schulen erhalten wissen wollte.

1998 war der Zeitpunkt, dass eine grundlegende Organisationsveränderung in die Tat umgesetzt wurde. Im Rahmen einer Umgestaltung des Wissenschaftlichen Instituts für Lehrerfortbildung (WIS) wurde der Schulpsychologische Dienst aus der Behörde aus- und in das neu gegründete Landesinstitut für Schule (LIS) eingegliedert. Man erhoffte sich Synergieeffekte; eine Professionalisierung der Lehrkräfte durch stärkere fachliche Impulse in der Aus- und Fortbildung. Der Zentrale Schulpsychologische Dienst, die Schullaufbahnberatung sowie die Drogenberatung bildeten zusammen die Abteilung 4 im LIS, die dem Direktor direkt unterstand. Einerseits wurde das Wegrücken des Schulpsychologischen Dienstes von der Schulaufsicht von einigen Schulpsycholog:innen begrüßt, andererseits wurde aber auch realisiert, dass mit diesem Schritt eine geringere Einflussnahme und Beteiligung bei Entscheidungsprozessen in der Behörde einherging. Dr. Uwe Wiest blieb als Leiter des Dienstes als Referent für Schulpsychologische Angelegenheiten in der Bildungsbehörde vertreten.

An der konkreten Arbeit des Zentralen Schulpsychologischen Dienstes änderte sich zunächst nicht viel. Die Schulpsycholog:innen blieben in ihren regionalen Beratungsstellen; sie waren für alle allgemeinbildenden Schulen in ihrem Bereich (N, S, O, W, Mitte-O) und die berufsbildenden Schulen zuständig; was sich veränderte, waren die erweiterten Aufgaben, die sie im LIS bewerkstelligen sollten.

Der Geschäftsverteilungsplan des LIS übernahm nahezu vollständig alle Aufgaben, die der Schulpsychologische Dienst bislang ausübte:

  • Unterstützung der Entwicklung von Schüler:innen
  • Unterstützung der Entwicklung von Schulen
  • Wissenschaftliche Analyse von Störungen und Entwicklungsmöglichkeiten auf Gebieten des Lernens, des Erlebens, Verhaltens und der sozialen Beziehungen
  • Schulpsychologische Beratung von Schüler:innen, Erziehungsberechtigten, Lehrer:innen auf der Grundlage lerntheoretischer, kommunikationspsychologischer und psychotherapeutischer Konzepte und Techniken
  • Psychologische Interventionen bei Fragen des emotionalen, sozialen und kognitiven Lernens
  • Mitwirkung bei der Fortbildung
  • Mitwirkung bei der Ausbildung
  • Mitwirkung bei der Supervision
  • stadtteilorientierte Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen.

Die Schulpsycholog:innen in den Schulen blieben von dieser Umorganisation weitestgehend unbehelligt.

Ruhe kehrte indes nicht ein; die Fusionspläne mit der Erziehungsberatung waren noch nicht vom Tisch. So war es kein Zufall, dass im Jahre 2002 der Rechnungshof Bremen, der den Auftrag zu einem Prüfbericht über die "Ambulanten psychologischen Dienste für junge Menschen" erhalten hatte, zu dem Ergebnis kam, dass es angeraten sei, die regionalen Beratungsstellen des Schulpsychologischen Dienstes mit den Erziehungsberatungsstellen zu fusionieren. Es könnten sog. Doppelstrukturen vermieden und die Beratungsleistungen optimiert werden. Um darüberhinaus weitere Kosten zu sparen, empfahl er, Beratungsleistungen i.S. therapeutischer Angebote für Schüler:innen, Lehrer:innen und Eltern auszugliedern und sie ausschließlich von ambulanten psychologischen Praxen verrichten zu lassen, so dass die Krankenkassen die Kosten zu tragen hätten. Das Konzept der Fusion des Schulpsychologischen Dienstes mit den Erziehungsberatungsstellen wurde jahrelang in einer behördeninternen Arbeitsgruppe weiter verfolgt, da man auf ein Einsparpotenzial durch die Zusammenlegung der Stellen hoffte. Umgesetzt wurde das Konzept letztendlich nicht, da bildungspolitische Impulse und Empfehlungen der Beratungsfirma Tormin zu einem Umdenken führten. Im Rahmen eines Organisationsprozesses im Landesinstitut für Schule (LIS), der von der Unternehmensberatung Tormin GmbH in den Jahren 2004 bis 2006 durchgeführt worden war, wurde für die Abteilung 4 die Empfehlung ausgesprochen, das Vorhaben der Fusion mit der Erziehungsberatung nicht weiter zu verfolgen und stattdessen eine Zentralstelle "Schüler:innenberatung" einzurichten, in der der Schulpsychologische Dienst, die Suchtprävention und andere Präventionsdienste, die Schullaufbahnberatung sowie sonstige schüler:innenbezogene Beratungsdienste zusammengeführt werden sollten. Diese Empfehlung griff die senatorische Bildungsbehörde auf und beerdigte damit die Fusionspläne mit der Erziehungsberatung ein für alle Mal. Sie plante die Zusammenführung aller schulischen Beratungsdienste allerdings im Rahmen einer grundlegenden Umgestaltung der Schulstruktur.

Die Pisa-Studie hatte im Jahre 2000 offenbart, wie es um die Leistungsfähigkeit der Schüler:innen in Deutschland, und insbesondere in Bremen, bestellt war. In einer bundesweiten Ergänzungsstudie zur ersten PISA-Erhebung kam Jürgen Baumert, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, zu dem Ergebnis, dass die Probleme in Bremen deshalb so massiv aufträten, weil die Stadt ein prototypisches Ballungsgebiet sei. Praktisch alle sozialen Problemlagen träfen hier zusammen: hohe Zuwanderungsrate, Abwanderung bürgerlicher Schichten ins Umland, niedriges Leistungsniveau an Schulen und damit ein größerer Schüler:innen-Anteil im unteren Leistungsspektrum. 95 Prozent aller Bremer Hauptschulen seien ein Sammelbecken für Problemschüler:innen. Auf der Suche nach den Ursachen für die extrem schwierige Zusammensetzung von Bremens Schüler:innenschaft stieß der Forscher auf unerwartete Folgen einer gut gemeinten Schulpolitik. "In Ländern, in denen das Schulsystem über eine Dreierdifferenzierung hinaus geht, stellen sich solche Effekte ein."[^24] Die Bremer Politik nahm die Hinweise auf und veränderte nach jahrelangen internen Diskussionen mit der neuen Schulreform 2007 den Sek I-Bereich; fortan gab es nur noch Oberschulen, die nach den KMK-Richtlinien Gesamtschulen entsprachen. Gleichzeitig verknüpfte die Behörde mit der Umstrukturierung den Wunsch, ein in ihren Augen effektiveres Beratungssystem als Unterstützung für die Schulen einzurichten; die Zusammenlegung aller schulischen Beratungsdienste schien die Lösung zu sein, zumal es eine ähnliche Entwicklung in der Nachbarstadt Hamburg gab.

Eine Arbeitsgruppe (AG 6) wurde ins Leben gerufen, die von einer externen Berater:innenfirma begleitet wurde. Professor Dr. Wilfried Schley und sein Partner vom Institut für Organisationsentwicklung und Systemberatung (IOS Schley und Partner GmbH (IOS)) aus Hamburg erschienen als die geeigneten Begleiter, da sie Jahre zuvor den Umstrukturierungsprozess im schulischen Bildungs- und Beratungswesen in Hamburg geleitet und über Jahre auch begleitet hatten. Man setzte auf ihre Erfahrung. Die Planung der neuen Beratungseinrichtung "Zentrum für schülerbezogene Beratung" (ZfsB) orientierte sich in starkem Maße an den Hamburger Erfahrungen im Umbau von Beratungseinrichtungen zu ReBUS (Regionale Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen) im Bildungsbereich. In dem neu zu schaffenden Beratungsinstitut "Zentrum für schülerbezogene Beratung" (ZfsB) sollten neben dem Zentralen Schulpsychologischen Dienst alle weiteren schul-, bzw. schüler:innenbezogenen Beratungs- und Präventionsangebote in Bremen unter einem Dach zusammengeführt werden. Beratung sollte aus einer Hand erfolgen, verbunden mit einem hohen Maß an Fachlichkeit. Man erhoffte sich durch die Bündelung der verschiedenen Dienste eine Effizienz- und Qualitätssteigerung.

5. Neugründung: Zentrum für schülerbezogene Beratung (ZfsB) (2007 – 2010)

6. Kritischer Rückblick und Ausblick

Zu meiner Person: Ich bin von der Ausbildung her Lehrerin und Psychologin und habe therapeutische Zusatzausbildungen in Geprächspsychotherapie und systemischer Familientherapie gemacht. 2000 habe ich als Psychologische Psychotherapeutin die Approbation für Kinder, Jugendliche und Erwachsene erhalten. Seit 1987 bin ich als Schulpsychologin in Bremen tätig gewesen, zunächst als Schulpsychologin an Schulen im Bremer Westen, dann seit 2007 als Regionalteamleiterin des Zentrums für schüler:innenbezogene Beratung im Westen und darauf folgend von 2010 bis 2015 als stellvertretende ReBUZ-Leiterin im Westen. Berufspolitisch bin ich im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. organisiert; von 2001 bis 2005 war ich als Vorstandsmitglied der Landesgruppe Bremen und von 2002 bis 2015 als Landesbeauftragte der Sektion Schulpsychologie in Bremen aktiv.

Birgit Muhl

Literatur

[^22] Helmut Heyse, Paradigmenwechsel in der Schulpsychologie, in: Report Psychologie, Januar 1989, S.35.

[^23] Helmut Heyse, Paradigmenwechsel in der Schulpsychologie, in: Report Psychologie, Januar 1989, S.34-37.

[^24] Weser-Kurier, 24. November 2006, S. 9.

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