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Unter der Rubrik Aus den Ländern beginnen wir mit Bremen. Birgit Muhl und die Sektion Schulpsychologie des BDP übersandten uns Zusammenfassungen zu Entwicklungen in Bremen seit 1964 bis 2015, die von Ihr und Dr. Jürgen Rudolph stammen. Mit freundlicher Genehmigung der beiden Autoren dürfen wir diese Texte veröffentlichen und wünschen euch viele Anregungen aus diesen historisch bedeutsamen Dokumenten.

Enthalten sind folgende Texte :

  1. "Entwicklungslinien der Schulpsychologischen Beratungsdienste in der Stadtgemeinde Bremen – Ist die Schulpsychologie in Bremen ein Opfer des Reformeifers der Bildungsbehörde geworden?" (1964 – 2010); Teil 1, Teil 2, Teil 3
  2. "Bremen weiterhin im Reformeifer : Die Einrichtung von Zentren für unterstützende Pädagogik (ZuP) und regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBUZ)" (2010 -2015); (Teil 1, Teil 2)
  3. "Schulpsychologie in Bremen – Quo vadis?" (1964 – 2015)
  4. Artikel "Der Schulpsychologische Dienst Bremen von 1964 bis 2007 - Die Einführung der psychologischen Schulberatung in Bremen" (Teil 1, Teil 2

Wir werden in den kommenden Wochen die Berichte Stück für Stück veröffentlichen und beginnen mit dem ersten. Entsprechend unserer internen Absprachen einer gendergerechten Sprache passen wir Text (ohne die Zitate) in ihrer Formulierung, jedoch nicht im Inhalt an (Anm. d. Red.) Doch nun zum ersten Teil der Serie Aus den Bundesländern - Bremen.

Teaser - Berichte aus Bremen - Teil 1

Muhl, B. (2022) Entwicklungslinien der Schulpsychologischen Beratungsdienste in der Stadtgemeinde Bremen - Ist die Schulpsychologie in Bremen ein Opfer des Reformeifers der Bildungsbehörde geworden?

Vorwort

Die Schulpsychologischen Beratungsdienste in der Stadtgemeinde Bremen haben eine rasante Entwicklung hinter sich; als Pioniere einer bislang unbekannten Beratungsform 1964 ins Leben gerufen und im Zuge der Bildungsreform weiter ausgebaut, finden sie sich Jahrzehnte später nach einer kurzen Übergangszeit in dem Zentrum für schülerbezogene Beratung (ZfsB) in den regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBUZ) wieder, einem umfassenden Beratungs- und Unterstützungssystem. Den Zentralen Schulpsychologischen Dienst und die Schulpsycholog:innen an Schulen gibt es seit 2007 in Bremen nicht mehr. Es ist ein Anliegen dieses Berichts, die Entwicklung der Dienste und der dort Tätigen nachzuzeichnen und nicht ganz in Vergessenheit geraten zu lassen, denn es liegt keine kontinuierliche Berichterstattung oder gar Chronik vor. Eine Weiterentwicklung wird auch zukünftig notwendig sein. Man kann allerdings die Gegenwart nur verstehen und die Zukunft gestalten, wenn man die Vergangenheit kennt.

1. Phase des Aufbaus der Beratungsdienste

2. Phase des Ausbaus der Beratungsdienste

3. Phase des weiteren Ausbaus und der Spezialisierung

4. Bestrebungen der Umorganisation der Beratungsdienste

5. Neugründung: Zentrum für schülerbezogene Beratung (ZfsB) (2007 – 2010)

Am 2. Mai 2007 fand die Einweihung des "Zentrums für schülerbezogene Beratung" (ZfsB) statt. Die Bündelung der unterschiedlichen schulischen Beratungs- und Präventionsangebote in einem Zentrum sollte dazu beitragen, eine verbesserte Abstimmung der Arbeit auf fachlicher Ebene zu ermöglichen und Doppelarbeit zu vermeiden. Das Zentrum lasse auf organisatorischer Ebene eine bessere Steuerung zu und führe zu Synergieeffekten auch in finanzieller Hinsicht, hieß es in offiziellen Verlautbarungen. Schüler:innen, Eltern und Lehrkräfte sollten eine rasche, unbürokratische Hilfe bei auffälligem Verhalten von Kindern und Jugendlichen erhalten, bzw. lernen, wie sie Störungen durch rechtzeitige Maßnahmen innerhalb der Schule im Vorfeld vermeiden könnten.[^25]

Konkret wurden die folgenden Beratungs- und Präventionsdienste in einem neu strukturierten Beratungsangebot zusammengeführt: der Zentrale Schulpsychologische Dienst, die Schulpsychog:innen aus den Modell- und Ganztagsschulen, die Schullaufbahnberatung, die LRS-Beratungsstelle, die Mathematik-Beratungsstelle, die Beratungsstelle Migration, die Beratungsstelle zur Förderung von Roma-Kindern, der Beratungsdienst Schulvermeidung, die sonderpädagogischen Beratungsstellen für Sprache und Entwicklungsgestörte sowie Teile der Suchtprävention.

Organisationsstruktur

Das Zentrum für schülerbezogene Beratung (ZfsB) wurde als eine Organisationseinheit des LIS geschaffen, als Abteilung 4, die dem Direktor des LIS unterstellt war. Das Zentrum für schülerbezogene Beratung selbst erhielt eine Gesamtleitung mit 4 Regionalzentren, in denen Teamleitungen für die regionalen Beratungsstellen Norden, Süden, Westen und Osten zuständig waren. Dies sollte eine enge Anbindung an die Schulen in der Region ermöglichen und die Zusammenarbeit mit der regional verantwortlichen Schulaufsicht und den Beratungsstellen der Ämter für Soziale Dienste , sowie weiteren Diensten in der Region erleichtern.

Struktur I - ZsfB Bremen

Durch die Auflösung der bisherigen Dienste waren Kräfte aus verschiedenen Professionen mit unterschiedlichen Beratungskompetenzen zusammen gekommen: Schulpsycholog:innen, Sonderpädagog:innen, Lehrkräfte mit besonderen Qualifikationen, Sozialpädagog:innen, andere Professionen und Verwaltungskräfte. Sie alle sollten sich als Berater:innen verstehen. Vorgesehen war, dass sie in allen Aufgabenfeldern, die das ZfsB bot, in multiprofessionellen Teams zusammen arbeiteten. Prinzip und Standard sollte sein, dass in den regionalen Zentren in jedem Team alle Beratungskompetenzen vertreten sind.

Um die Nähe zu den Schulen zu gewährleisten, hielten die Berater:innen Sprechstunden vor Ort ab. Ihre Zuständigkeit für einzelne Schulen ergab sich aus ihrer Zuordnung zu einem Regionalteam. Jede Mitarbeiter:in in einem Team hatte demzufolge eine doppelte Rolle: einerseits regionale Ansprechpartner:in für Schulen und andererseits Expert:in für fachlich spezifische Aufgaben. Um eine einheitliche Entwicklung dieser Aufgabenbereiche zu gewährleisten, wurde die Struktur der Fachteams geschaffen, die sich an den fachlichen Schwerpunkten des Zentrums für schülerbezogene Beratung orientierte. In diesen Fachteams trafen sich die Mitarbeiter:innen regelmäßig.

Struktur II - ZsfB Bremen

Konzept

Mit der Gründung des ZfsBs war also ein System geschaffen worden, das multiprofessionell, regionalisiert und schulnah aufgestellt war. Es verstand sich als ein unterstützendes, ambulantes, aufsuchendes und schulübergreifendes System. Es hieß ausdrücklich, dass das ZfsB subsidiär und komplementär arbeiten sollte; d.h. Beratung sollte dann erfolgen, wenn Schulen mit eigenen Mitteln nicht mehr weiter kämen. Dann sollte das ZfsB Schulen in der Bearbeitung problematischer Fälle unterstützen. Allerdings war vorgesehen, dass Schüler:innen, deren Eltern und Lehrkräfte sich auch direkt an das Zentrum wenden könnten.

Das Grundverständnis des neu gegründeten Zentrums war, dass die Schwierigkeiten eines Kindes oder Jugendlichen im Kontext seiner schulischen und außerschulischen Lebenssituation zu analysieren seien, um die komplexen Bedingungszusammenhänge zu verstehen und geeignete Hilfsansätze zu entwickeln. Je nach Problemlage würden neben der Schüler:in die Lehrkräfte, Mitschüler:innen, Eltern und andere Bezugspersonen in die Beratung einbezogen. Die Beratung sollte als Hilfe zur Selbsthilfe angelegt sein.

Die Arbeit des Zentrums wurde unter 3 Leitorientierungen gestaltet:

  • "Jeder Schüler und jede Schülerin in allen Altersstufen in Problemlagen, Risikokonstellationen, Krisen und Übergängen erfährt schnelle, persönliche und professionelle Hilfe.
  • Schulen, Erziehungsberechtigte und andere mit Schülerinnen und Schülern Beschäftigte erfahren schnelle und professionelle Unterstützung bei der Bearbeitung von Schüler- und Schulproblemen.
  • Das ZfsB hilft bei der Verminderung sozialer Nachteile und unterstützt den Schulerfolg auch in gefährdeten Lebenslagen“.[^26]

Das Aufgabenspektrum des ZfsBs umfasste Beratung, Diagnostik, Prävention und Prozessbegleitung sowie in einzelnen Bereichen auch Förderung (z.B. LRS, Rechenschwäche). Es wies folgende fachliche Schwerpunkte aus:

  • Sozial-emotionale Entwicklung, Lernentwicklung und besondere Entwicklungsauffälligkeiten
  • Besondere Schwierigkeiten beim Lesenlernen (LRS)
  • Besondere Schwierigkeiten beim Mathematiklernen/Rechenschwäche
  • Besondere Begabungen
  • Lautsprachentwicklung/Sprachheilpädagogik
  • Migration/Integration von Kindern mit Migrationshintergrund
  • Gewalt/Gewaltprävention
  • Schullaufbahn und Übergänge
  • Schulabsentismus/Schulvermeidung
  • Sucht
  • Krisen und Notfälle

Fachteams - ZfsB Bremen

In diesen Fachteams sollten nach Möglichkeit alle Professionen vertreten sein, um zu gewährleisten, dass multiprofessionelle Teams zum Einsatz kommen.

Konkret bedeutete die Einrichtung des ZfsBs für die Schulpsycholog:innen, dass sie sich in neuen Leitungsstrukturen, mit neuen Kolleg:innen und an neuen Arbeitsplätzen wiederfanden. Der Zuschnitt der Regionen entsprach im Wesentlichen den Zuständigkeitsgebieten der regionalen Beratungsstellen des Schulpsychologischen Dienstes. Der Zentrale Schulpsychologische Dienst hatte aufgehört zu existieren; die Schulen verloren ihre Schulpsycholog:innen. Was für einige mit Enttäuschung, Trauer und Verlustgefühlen einherging, bedeutete für andere den Aufbrauch zu neuen Konzepten und Handlungsoptionen.

Schulpsychologen und Schulpsychologinnen im Zentrum für schülerbezogene Beratung (ZfsB)

  • Team Nord : Klaus Ehl (2007-2010), Georg Hoffmann (2007-2010, anteilig), Cornelia Markner (2007-2010), Mara Krummrich (2009-2010)
  • Team Süd : Norbert Boyer (2007-2009), Ute Lohs (2007-2010), Walter Rokita (2007-2010)
  • Team West : Birgit Muhl (Leitung, 2007-2010), Peter Hegeler (2007-2010), Barbara Sanders (2007-2009), Hilmar Schiemann (2007-2010, anteilig), Wolfgang Spatzek (2007-2010)
  • Team Ost : Karsten Koll (2007-2009), Dr. Jürgen Rudolph (2007-2009), Hilde Thimme (2007-2010), Verena Ingenkamp (2010-2010), Svenja Mies (2010-2010)

Als die Schulpsycholog:innen sich in den folgenden Jahren nach und nach in den Ruhestand verabschiedeten, sollte es noch Jahre dauern, bis der Bestand an Psycholog:innen wieder das Anfangsniveau erreicht hatte. Der Generationswechsel unter den Schulpsycholog:innen erfolgte im Wesentlichen in der Zeit des Zentrums. Als neue junge Schulpsychologinnen kamen Mara Krummrich für das Team Nord und Verena Ingenkamp und Svenja Mies für das Team Ost hinzu.

Das Zentrum für schülerbezogene Beratung konnte erstaunlich schnell zum Einsatz kommen, da die verschiedenen Beratungskompetenzen bereits in den bisherigen Beratungsstellen vorhanden waren und nicht erst eingeführt und entwickelt werden mussten. Die eigentliche Herausforderung lag deshalb zunächst darin, die verschiedenen Dienste in der neuen Organisationsform zusammenzuführen und zu gut funktionierenden Teams zu entwickeln.

Ein Aufgabenfeld stach jedoch heraus, und zwar aus traurigem Anlass: Die Amokläufe von Emsdetten (2006) und später Winnenden (2009) hatten auch den Verantwortlichlichen in Bremen vor Augen geführt, dass in dem Bereich Krisen und Notfälle ein weiterer Handlungsbedarf bestand. Der erste Auftrag, den das Fachteam "Krisen und Notfälle" von der Bildungssenatorin Frau Jürgens-Pieper erhielt, war, Notfallpläne für die Schulen in Bremen zu entwickeln. Aufgrund der guten Vernetzung der Schulpsycholog:innen mit ihren Kolleg:innen in den anderen Bundesländern gelang es, sich an den Notfallplänen der anderen Bundesländer zu orientieren, v.a. an denen aus Berlin, und sie den Bremischen Gegebenheiten anzupassen. Im August 2009 konnten die Notfallpläne an die Schulen verteilt werden, wiederum mit tatkräftiger finanzieller Unterstützung der Unfallkasse. Gleichzeitig wurde ein behördenübergreifendes Meldeverfahren bei besonderen Vorkommnissen in Bremer Schulen auf den Weg gebracht. Es regelte die Zusammenarbeit zwischen Schule, Polizei, Jugendhilfe und Staatsanwaltschaft im Bereich der Gewaltprävention an Bremer Schulen.

6. Kritischer Rückblick und Ausblick

Die Schulpsychologischen Beratungsdienste in Bremen haben bewegte Zeiten hinter sich. Als Pionier:innen einer neuen bislang unbekannten Beratungsform haben sie erfahren, wie schwierig und holprig z.T. der Aufbau einer neuen Institution innerhalb der Bremer Bildungslandschaft war. Sie haben Freiraum für Entwicklungen auf den verschiedensten Arbeitsfeldern gehabt, sie haben aber immer auch mit Einschränkungen leben müssen. Für ihre engagierte Arbeit haben sie viel positive Resonanz erhalten, aber auch massive Kritik, nicht zuletzt von ihrem Arbeitgeber, der Bildungsbehörde, die unter permanenten Sparzwängen und mit bildungspolitischem Reformeifer den schulpsychologischen Beratungsdiensten immer neue Herausforderungen und Veränderungen verordnete. Nach der Einrichtung des Zentrums für schülerbezogene Beratung (ZfsB) folgte nach nur wenigen Jahren 2010 unter der neuen Zielvorgabe "Inklusion" die Umorganisation zu den Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBUZ). Als eine der wichtigsten Errungenschaften mag vielleicht angesehen werden, dass "Beratung" im Bremer Schulgesetz verankert worden ist; genauer noch, dass es ein gesichertes Recht auf eine schulpsychologische Beratung nach dem Schulverwaltungsgesetz (§ 14 (1) BremSchVwG) gibt.

Alle bisher existierenden Beratungsdienste in regionalen Zentren zu bündeln und die Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen zu fördern, war ohne Zweifel ein großer Entwicklungsschritt und ein enormer institutioneller und personeller Kraftakt. Ergebnis war ein kompaktes, gut überschaubares Beratungsangebot für Eltern und Schüler:innen, sowie für Lehrkräfte und Schulen. Dass das neu gegründete Zentrum für schülerbezogene Beratung sich innerhalb kurzer Zeit als kompetentes Beratungszentrum erweisen konnte, war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass es auf den bisherigen Beratungskompetenzen der Mitarbeiter:innen aufbauen konnte.

Aus schulpsychologischer Sicht sind allerdings Entscheidungen gefallen und Entwicklungen gefördert worden, die problematisch sind und der Überprüfung, bzw. der Veränderung bedürfen.

Stark hierarchische Organisationsstruktur

Was von Anfang an kritisch unter den Schulpsycholog:innen gesehen wurde, war die neue Organisationsstruktur, die neue Hierarchien schuf, und die Entscheidung der Behörde, die Leitung in überwiegend pädagogische Fachhände zu legen; bis auf eine Ausnahme: die Schulpsychologin Birgit Muhl wurde die Teamleiterin West. Das hatte zum Einen damit zu tun, dass die Schulpsycholog:innen fast alle kurz vor ihrem Berufsende standen und sich den Bewerbungs- und Aufbaustress nicht mehr zumuten wollten, und zum Anderen, dass die Bildungsbehörde sich mit der Neubesetzung mit jüngeren fachfremden Kräften neue Impulse erhoffte. Der Leiter des ehemaligen Zentralen Schulpsychologischen Dienstes, Dr. Uwe Wiest, der den Zentralen Schulpsychologischen Dienst in Bremen aufgebaut hatte, entschied sich, im LIS zu bleiben und dort in der neu aufgebauten Abteilung Qualitätssicherung mit zu wirken. So war er weiterhin für die Testentwicklung zuständig; insbesondere für die Tests der Schüler:innen der 2. Klasse zur Feststellung der Schreib- und Lesefähigkeiten; die qualitative Auswertung und Beratung der Lehrkräfte über die Testergebnisse sollte hingegen in den Händen des Zentrums für schülerbezogene Beratung bleiben.

Kein gesichertes Recht auf schulpsychologische Beratung

In dem Konzept des ZfsBs hieß es ausdrücklich, dass es subsidiär und komplementär arbeiten solle; was beinhaltete, dass die Lehrkräfte sich erst dann an das Zentrum wenden sollten, wenn sie nicht weiter wüssten. Für Eltern, bzw. Erziehungsberechtigte und Schüler:innen hingegen blieb der Zugang zum Zentrum niedrigschwellig und damit direkt möglich. Aus schulpsychologischer Sicht erscheint es problematisch, den Zugang hochschwellig von Bedingungen abhängig zu machen. In einigen Fällen kann der Weg sogar kontraindiziert sein, dann nämlich, wenn Lehrkräfte sich scheuen, Unterstützung innerhalb der Schule einzufordern, sei es, weil sie befürchten, als inkompetent angesehen zu werden, sei es, weil das Vertrauen in eine gute Zusammenarbeit mit den Kräften vor Ort fehlte. Schulpsychologische Beratung sollte unabhängig sein und in einem geschützten Rahmen stattfinden.

Aber auch für die Kinder und Jugendliche und deren Eltern ist der Zugang zu einer schulpsychologischen Beratung nicht gesichert. Zwar haben sie im Gegensatz zu den Lehrkräften den direkten Zugang zur Beratungsstelle, aber je nachdem, was als Anmeldegrund angegeben wird, kann man auf eine Berater:in treffen, die zwar demselben Fachteam zugeordnet ist, aber eine andere professionelle Ausbildung besitzt. Kinder und Eltern haben demzufolge im ZfsB kein gesichertes Recht auf eine schulpsychologische Beratung, obwohl ihnen das nach dem Schulverwaltungsgesetz (§ 14 (1) BremSchVwG) zusteht.

Infragestellung der Grundprinzipien der Beratung

Die Zusammenführung verschiedener Professionen aus unterschiedlichen Beratungsstellen zu multiprofessionellen Teams hat den Beratungsbegriff unscharf werden lassen und verlangt aus schulpsychologischer Sicht nach einer Begriffsschärfung und -klärung. Während Schulpsycholog:innen von einem frei zugänglichen, unabhängigen und ergebnisoffenen Beratungsverständnis ausgehen, sehen sie sich mit aufsichtlichen, kontrollierenden und zuweisenden Aufgaben im ZfsB konfrontiert. Der ehemalige Beratungsdienst gegen Schulvermeidung z.B. ist kein Beratungsdienst im o.g. Sinne. Seine Hauptaufgabe ist die Rückführung von Schüler:innen in die Schule. Beratung ist ein Teil seiner Aufgaben, aber nicht der wesentliche. So stellt sich die Frage, ob die Einhaltung der Arbeitsprinzipien der Schulpsychologie (Freiwilligkeit, freier Zugang, Kostenfreiheit, Schweigepflicht, Unabhängigkeit und Neutralität) im ZfsB noch hinreichend gewährleistet ist?

Multiprofessionalität : Wir sind alle Berater?

Bei komplexen schulischen Problemlagen einen Professionsmix mit verschiedenen Kompetenzen zur Verfügung zu stellen, ist inzwischen fachlicher Standard. Unterschiede gibt es im Verständnis, wie die Professionen einzusetzen sind. "Wir sind alle Berater:innen", dieser Leitspruch mag einer möglichen internen Hierarchisierung vorbeugen. Wenn aber alle Berater:innen sein sollen, unabhängig von ihrer Grundqualifikation und beruflichen Sozialisation, dann kann das zu Verunsicherungen und Abwertungen führen, letztlich zu einer Deprofessionalisierung. In einer Beratungssituation ist bei einer Beratungsanfrage die individuelle fachliche Kompetenz entscheidend, die Problemlage zu erkennen, die entsprechende Diagnostik vorzuhalten und notwendige Beratungsschritte einzuleiten. Man sollte sich vor Augen halten, dass nicht alle alles können, dass in der Ergänzung die Stärke liegt. So sollten z.B. psychische Auffälligkeiten die Domäne der Schulpsychologie bleiben, während die Feststellung besonderer Förderbedarfe erfahrungsgemäß bei Sonderpädagog:innen in guten Händen ist. Für Außenstehende sind die verschiedenen Professionen zudem auch nicht mehr erkennbar. Gerade im schulischen Kontext wünschen sich Lehrkräfte oft noch einen anderen Blick auf das Geschehen durch eine andere Profession. Wenn die Lehrkraft oder die Erziehungsberechtigte nicht weiß, aus welcher professionellen Sicht ihr jemand als Berater:in gegenübersitzt, kann Vertrauen in die neu gegründete Institution verspielt werden.

Kein originäres Aufgabenfeld mehr für die Schulpsychologen

Mit der Einführung des multiprofessionellen Ansatzes besitzen die Schulpsycholog:innen kein originäres Aufgabenfeld mehr. So sind beispielsweise nebeneinander Schulpsycholog:innen und Lehrkräfte mit Spezialkompetenz zuständig für den Bereich "LRS", wenn auch ihre Vorgehensweisen unterschiedlich sind. Ebenso sind Unterschiede im Vorgehen zu erwarten, wenn es um den Bereich "Verhaltensauffälligkeiten" geht; eine Lehrkraft, eine Sonderpädagog:in oder eine Schulpsycholog:in werden aufgrund ihrer verschiedenen Berufsausbildungen und Beratungsverständnisse den Fokus der Beratung unterschiedlich setzen und möglicherweise unterschiedliche Lösungen mit den Betroffenen entwickeln. Schulpsycholog:innen bringen überwiegend therapeutische Kompetenzen mit ein, die von den Pädagog:innen in der Regel nicht angeboten werden.

Reformbedarf der Fachteamstruktur

Die Berater:innen ordnen sich im ZfsB Fachteams zu, die den Themenkreisen bei den Beratungsanfragen entsprechen. Schulpsychologische Erfahrungen weisen jedoch darauf hin, dass mit Ausnahme der Feststellung von Behinderungen, die in der Regel schon im Vorfeld der Beschulung festgestellt werden (Bereiche Hören, Sehen, körperliche und geistige Behinderungen), eine klare Zuordnung zu den übrigen Kategorien schwer möglich ist. Aus schulpsychologischer Sicht sind schulische Problemlagen überwiegend mehrdimensional bedingt; Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Probleme z.B. hängen meist mit Leistungsproblemen zusammen, so dass die interne Aufteilung in spezialisierte Fachteams (Lern- und Leistungsprobleme, Verhalten, Gewalt u.a.) der Komplexität der Problemlagen nicht gerecht wird und daher in Frage zu stellen ist. Eine Berater:in, die für Leistungsschwierigkeiten zuständig ist, muss in seinem diagnostischen Prozess immer auch das Verhalten der Schüler:in innerhalb und außerhalb der Schule im Blick haben, um zu einer umfassenden Einschätzung der Problematik zu gelangen. So wichtig die fachliche Spezialisierung auf Teilbereiche im Lernen oder Verhalten auch sein mag, sie ersetzt nicht die umfassendere Beratungskompetenz. Insofern ist es angeraten, die Einteilung in so stark aufgesplitterte Fachteams zu überprüfen und ggf. zu verändern.

Einschränkung der schulsystembezogenen Beratung

Schulsystembezogene Arbeit wie Supervision, Projekte und Mitarbeit bei der Lehrer:innenfortbildung ist bislang Arbeitsfeld der Schulpsychologie und im ZfsB nicht mehr vorgesehen; stattdessen sind diese Formen der Arbeit in andere Abteilungen des LIS auslagert oder ganz aufgegeben worden; d.h. dass Supervision und Lehrer:innenberatung fortan nicht mehr von Schulpsycholog:innen angeboten werden sollen. Ein Zugeständnis war, dass Supervision im Einzelfall bei der Beratung im ZfsB möglich sein sollte. Der systemische Ansatz der Schulpsychologie wurde fast vollständig gekappt. Überlegungen und kritische Anmerkungen der Schulpsycholog:innen blieben in der AG 6 unberücksichtigt. Blicke in das Aufgabenspektrum schulpsychologischer Dienste in anderen Bundesländern mögen unterstreichen, dass systembezogene Beratung dort überwiegend ein integraler Bestandteil ist.

Organisatorische Anbindung des ZfsBs

Ist das ZfsB besser an die Schulbehörde angebunden und besitzt damit die Nähe zur Schulaufsicht oder ist die Einordnung ins LIS, deren primäre Aufgabe die Lehrer:innenfort- und -ausbildung ist, die bessere Lösung? Diese Frage ist intern unter den Schulpsycholog:innen jahrelang intensiv diskutiert worden. Entscheidungen hat die senatorische Behörde gefällt. 2010 wurde das ZfsB im Zuge des Inklusionsprozesses aufgelöst und in das neu geschaffene ReBUZ überführt, das nicht mehr dem LIS zugehörig war, sondern als nachgeordnete Einrichtung, einer Schule gleich, der Bildungsbehörde unterstellt wurde. Nach Auswertung der Erfahrungen wird es möglicherweise weitere Diskussionen geben.

Mangelnde Repräsentanz in der Bildungsbehörde

Seit der Auflösung des schulpsychologischen Dienstes gibt es keine Referent:in mehr in der senatorischen Bildungsbehörde, die für schulpsychologische Belange zuständig wäre. Damit dürfte Bremen zu einem der wenigen Bundesländer gehören, in denen es keine Referent:in für Schulpsychologie mehr gibt, und das, obwohl die schulpsychologische Beratung im Bremer Schulgesetz in §14 Abs. 2 des Schulverwaltungsgesetzes verankert ist. Wer nicht vertreten ist, wird auch nicht gehört und findet sich auch nicht in Planungs- und Entscheidungsprozessen wieder, so die Erfahrung. Aus schulpsychologischer Sicht ist es fraglich und verwunderlich, dass die Bildungsbehörde in Bremen keine Notwendigkeit sieht, psychologische Kompetenz in die Planungs- und Entwicklungsprozesse der Bremer Bildungspolitik einzubeziehen.

Nachbemerkungen

Die Angaben zu den einzelnen Schulpsycholog:innen und deren Beschäftigungszeiten sind unvollständig und möglicherweise auch fehlerhaft. Es wird um Nachsicht und Verständnis gebeten. Sicher aber ist, dass es sich bei allen Genannten um Diplom-Psycholog:innen handelt, die als Schulpsycholog:innen in Bremen tätig waren, unabhängig davon, ob sie auf vollen oder halben Planstellen, Lehrer:innenstellen, ABM-Stellen oder sonstigen Projektstellen saßen. Die Beschreibung ihrer Tätigkeiten erfolgt nur bruchstückhaft, wobei diese als exemplarisch während eines bestimmten Zeitraumes anzusehen sind.

Zu meiner Person: Ich bin von der Ausbildung her Lehrerin und Psychologin und habe therapeutische Zusatzausbildungen in Geprächspsychotherapie und systemischer Familientherapie gemacht. 2000 habe ich als Psychologische Psychotherapeutin die Approbation für Kinder, Jugendliche und Erwachsene erhalten. Seit 1987 bin ich als Schulpsychologin in Bremen tätig gewesen, zunächst als Schulpsychologin an Schulen im Bremer Westen, dann seit 2007 als Regionalteamleiterin des Zentrums für schüler:innenbezogene Beratung im Westen und darauf folgend von 2010 bis 2015 als stellvertretende ReBUZ-Leiterin im Westen. Berufspolitisch bin ich im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. organisiert; von 2001 bis 2005 war ich als Vorstandsmitglied der Landesgruppe Bremen und von 2002 bis 2015 als Landesbeauftragte der Sektion Schulpsychologie in Bremen aktiv.

Birgit Muhl

Literatur

[^25] Vgl. Ausführungen der Vorlage Nr. G 183 des Direktors des LIS, Dr. Fleischer-Bickmann, für die Sitzung der Deputation für Bildung am 05. Oktober 2006.

[^26] Vgl. Ausführungen der Vorlage Nr. G 183 des Direktors des LIS, Dr. Fleischer-Bickmann, für die Sitzung der Deputation für Bildung am 05. Oktober 2006, S.2.

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