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Unter der Rubrik Aus den Ländern schreibt Birgit Muhl über den Bremer Reformeifer und die Gründung der regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBUZ). Sie können hier den zweiten Teil lesen. Zusammen mit der Sektion Schulpsychologie des BDP stellten Sie uns Zusammenfassungen zur Verfügung, die wir mit freundlicher Genehmigung der Autoren veröffentlichen und nutzen dürfen.

Enthalten sind folgende Texte :

  1. Entwicklungslinien der Schulpsychologischen Beratungsdienste in der Stadtgemeinde Bremen – Ist die Schulpsychologie in Bremen ein Opfer des Reformeifers der Bildungsbehörde geworden?" (1964 – 2010); Teil 1, Teil 2, Teil 3
  2. "Bremen weiterhin im Reformeifer : Die Einrichtung von Zentren für unterstützende Pädagogik (ZuP) und regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBUZ)" (2010 -2015); (Teil 1, Teil 2)
  3. "Schulpsychologie in Bremen – Quo vadis?" (1964 – 2015)
  4. Artikel "Der Schulpsychologische Dienst Bremen von 1964 bis 2007 - Die Einführung der psychologischen Schulberatung in Bremen" (Teil 1, Teil 2

Wir werden in den kommenden Wochen die Berichte Stück für Stück veröffentlichen. Entsprechend unserer internen Absprachen einer gendergerechten Sprache passen wir Text (ohne die Zitate) in ihrer Formulierung, jedoch nicht im Inhalt an (Anm. d. Red.). Doch nun zum zweiten Teil der Serie Aus den Bundesländern - Bremen.

Muhl, B. (2022) Bremen weiterhin im Reformeifer : Die Einrichtung von Zentren für unterstützende Pädagogik (ZuP) und Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren

Schon knapp fünf Jahre nach Auflösung des Zentralen Schulpsychologischen Dienstes und der Einführung des Zentrums für schülerbezogene Beratung (ZfsB) erfolgte 2010 die nächste Umorganisation: die Einrichtung von Zentren für unterstützende Pädagogik (ZuP) und Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBUZ). Eine externe Begleitung und Einbeziehung der Mitarbeiter:innen in den Prozess gab es dieses Mal nicht. Katalysator für diese Entwicklung war der Inklusionsauftrag im Bildungswesen.

1. Der bildungspolitische Kontext

2. Das Reformkonzept

3. Zentren für unterstützende Pädagogik (ZuP) Unterstützungssysteme für die inklusive Schule

4. Regionale Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBUZ) Unterstützungssysteme für die inklusive Schule

Die eigentliche Nachfolge-Organisation des Zentralen Schulpsychologischen Dienstes sind die Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren (ReBUZ). In dem Konzept ReBuZ heißt es im Vorwort: "ReBUZ bilden ein Unterstützungssystem für Schule, das in seiner jeweiligen Region in enger Zusammenarbeit mit dem ZuP tätig wird. Ihr Angebot ist formal höherschwelliger als das der ZuP. ReBUZ arbeiten multiprofessionell mit spezifischen Kompetenzen in den Bereichen Beratung, Diagnostik, Unterstützung, Prävention und Intervention. ReBUZ arbeiten spezifisch, ergänzend und vertiefend sowohl einzelfall- als auch systembezogen, insbesondere wenn die Merkmalsausprägung von Problemlagen nicht durch die in der allgemeinen Schule mit ihrem ZuP vorhandenen Kompetenzen abgedeckt ist. Mit den Aufgaben schul- und unterrichtsersetzender Maßnahmen gehen die ReBUZ über die Aufgaben eines reinen Beratungs- und Unterstützungssystems hinaus."[^6]

In den jeweiligen ReBUZ-Einrichtungen vereinen sich also Beratungs- und Unterstützungsaufgaben des ehemaligen Zentrums für schülerbezogene Beratung, Aufgaben aus Teilen der sich auflösenden Förderzentren LSV, sofern sie nicht in den ZuPs der allgemeinbildenden Schule bearbeitet werden können, Aufgaben des Förderzentrums (FÖZ) Fritz-Gansberg-Straße und ggf. weitere, die in der neuen Einrichtung zusammengeführt werden. Ausgenommen von der Auflösung der Förderzentren wurden die drei Spezial-Förderzentren, die aufgrund ihres spezifischen Angebots weiterhin erhalten bleiben sollten, wenn auch nur als Angebot, nicht als Verpflichtung; gemeint sind die FÖZ für Blinde, Gehörlose und Schwer-Mehrfachbehinderte. Das FÖZ an der Fritz-Gansberg-Straße für entwicklungsverzögerte und verhaltensauffällige Schüler:innen nahm eine Sonderstellung ein; zwar sollte auch dieses FÖZ mittel- und langfristig aufgelöst werden, doch sein Erhalt wurde im engen Zusammenhang mit dem Aufbau und den Kapazitäten der neu gegründeten Unterstützungseinrichtungen ZuP und ReBUZ gesehen. Und so existiert dieses Förderzentrum noch heute.

Mit den schul- und unterrichtsunterstützenden Maßnahmen gehen die ReBUZ-Einrichtungen über ein reines Beratungs- und Unterstützungssystem hinaus, wie es heißt; es wird allerdings betont, dass ReBUZ keine Schule sei. Die Schüler:innen, die ihnen zugewiesen werden, bleiben in jedem Fall Schüler:innen ihrer Stammschule.

Die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung der ReBUZ ist in §55 Abs. 4 Bremer Schulgesetz und in §14 Abs. 2 Schulverwaltungsgesetz festgehalten.

In §14 Abs. ist geregelt, dass die Stadtgemeinden die schulpsychologische Beratung und die schulische Drogenberatung und andere Beratungs- und Unterstützungsleistungen organisieren. Weiter heißt es im §14 Abs. 2 SchulVwG, dass "sie... Regionale Beratungs-und Unterstützungszentren einrichten können, die im Rahmen ihrer Unterstützungsaufgaben auch Schüler:innen vorübergehend beschulen (können), wenn deren Lern- und Sozialverhalten eine Beschulung in der allgemeinen Schule nicht zulässt." Nach §55 Abs. 4 des Bremer Schulgesetzes können Schüler:innen zur Erfüllung ihrer Schulpflicht vorübergehend von der Fachaufsicht einem ReBUZ zugewiesen und dort beschult werden, "wenn ihr oder sein Lern- und Sozialverhalten dies erforderlich macht oder von ihr oder ihm dauerhafte Störungen der Unterrichts- und Erziehungsarbeit in ihrer oder seiner Schule ausgehen und die Maßnahmen nach § 46, 47 zuvor erfolglos geblieben sind".[^7]

4.1.Organisationsstruktur der ReBUZ

ReBUZ wurde in das neu geschaffene Referat 25 "Schule und Jugendhilfe" in der Bildungsbehörde eingegliedert. Die ReBUZ- Einrichtungen wurden als nachgeordnete, nicht rechtsfähige Dienststellen der Senatorin für Bildung und Wissenschaft geführt und der dortigen Fachaufsicht ReBUZ unterstellt.

Die 4 regionalen Beratungsstellen des ZfsBs gingen nahtlos ins ReBUZ über und bildeten das Fundament der 4 ReBUZ-Einrichtungen. Veränderungen gab es in der Leitungsstruktur. Jede ReBUZ-Einrichtung erhielt eine eigenständige Leitung und eine Stellvertreter:in. Sie zusammen bildeten das ReBUZ-Leitungsteam. Die Leitungen rekrutierten sich – mit einer Ausnahme - aus ehemaligen FÖZ-Leiter:innen; zu Stellvertreter:innen wurden – mit einer Ausnahme - die Teamleitungen des aufgelösten ZfsBs ernannt.

In den ReBUZ sollen verschiedene Professionen zusammen arbeiten. Ziel ist es, alle Kompetenzen vorzuhalten, die bislang in dem ZfsB gebündelt worden waren, und die Kompetenzen zu erweitern, die mit der Auflösung der FÖZ freigesetzt worden sind: Schulpsycholog:innen, Lehrkräfte mit besonderen Fachkompetenzen, Sonderpädagog:innen, Sozialpädagog:innen und andere Professionen sowie Verwaltungskräfte.

Um ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz zu sichern und eine einheitliche Entwicklung der einzelnen ReBUZ-Einrichtungen zu gewährleisten, finden sich die Mitarbeiter:innen der einzelnen ReBUZ-Einrichtungen in Fachteams, Fachgruppen und Fachkreisen wieder. Die ReBUZ gehen damit über die Fachteams des ZfsBs hinaus; die Fachteams werden noch einmal weiter spezifiziert in Fachgruppen unterteilt, und zusätzlich werden Fachkreise eingerichtet, in denen sich die Mitglieder einzelner Professionen wie die Schulpsycholog:innen und die Sonderpädagog:innen treffen, um fachspezifische Fragen, die nur eine Berufsgruppe betreffen und die nicht durch die Aufgaben der Fachteams abgedeckt sind, zu erörtern. Bestreben ist es, möglichst alle Professionen in den Fachteams vertreten zu haben, um zu gewährleisten, dass multiprofessionelle Teams zum Einsatz bei komplexen schulischen Problemlagen kommen.

Abbildung: ReBUZ: Bremen - Organisationsstruktur Abbildung 2: ReBUZ: Bremen - Organisationsstruktur

4.2. Aufgaben

Die ReBUZ-Einrichtungen sind im Wesentlichen als ein Beratungs- und Unterstützungssystem für Schulen, Lehrkräfte sowie Schüler:innen und deren Eltern konzipiert. Ihre Aufgaben umfassen daher die Bereiche Beratung, Diagnostik, Intervention bei Krisen, Notfällen und Gewaltvorkommnissen sowie den neu hinzugekommenen Bereich der schulischen (schulunterstützenden und schulersetzenden) Unterstüzungsmaßnahmen.[^8]

Beratung

"Kernaufgabe im ReBUZ ist die pädagogisch-psychologische Beratung. Beratungsgespräche werden mit dem Ziel geführt, Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrkräfte u.a. in schwierigen Entscheidungs-, Konflikt- und Krisensituationen zu unterstützen." "Die Beratung erfolgt im ReBUZ durch Fachleute verschiedener Professionen und zielt darauf ab, gemeinsam mit den Ratsuchenden Lösungsansätze für Problemsituationen zu entwickeln, die im schulischen Kontext auftreten. Ein zentraler Aspekt ist dabei, Selbstreflexion und Selbsthilfe anzuregen."

Beratung Diagnostik Prävention
schulunterstützende Maßnahmen Logo ReBUZ Koordinierung
schulersetzende Maßnahmen Intervention bei Krisen, Notfällen und Gewaltvorkommnissen Kooperation/Netzwerk

Darüber hinaus können auch weiter greifende Beratungsprozesse mit Lehrkräfteteams, Schulleitungen, der Schulaufsicht und außerschulischen Institutionen als sinnvoll für die Bewältigung der Problemlage angezeigt sein. Abhängig vom Beratungsanliegen gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen.

Beratung kann sich also an unterschiedliche Personen richten oder von ihnen in Anspruch genommen werden. "Der Zugang zum Beratungsangebot des ReBUZ ist prinzipiell für alle Ratsuchenden offen und niedrigschwellig. Verbindliche Beratungsstandards sind Freiwilligkeit, Vertraulichkeit und Unabhängigkeit." "Beratung findet als Einzelfallberatung und als Systemberatung statt."[^9]

Einzelfallberatung

"Die Einzelfallberatung des ReBUZ bezieht sich auf individuelle Problemlagen; zu ihrer Bewältigung werden alle notwendigen Aspekte sowie Akteur:innen einbezogen. Im Sinne einer systemischen Perspektive auf den Einzelfall werden die biographischen und soziokulturellen, aber auch die sozialräumlichen Faktoren in den Beratungsprozess integriert.“

"Die Themen, die in der Einzelfall- wie in der Systemberatung anfallen, beziehen sich auf die folgenden Bereiche:

Sozial-emotionale Entwicklung
  • Verhaltens- und emotionale Probleme
  • Schulabsentismus
  • Suchtverhalten
Lern- und Leistungsentwicklung
  • allgemeine Lern- und Leistungsschwierigkeiten
  • Schwierigkeiten beim Erwerb der Lese- und Rechtschreibkompetenz
  • Schwierigkeiten beim Erwerb der Rechenkompetenz
Sprachentwicklungsauffälligkeiten (Fragen zum Erwerb der Muttersprache)
  • Fragen der besonderen Begabung
  • Feststellungsverfahren des sonderpädagogischen Förderbedarfs Schullaufbahn und Übergänge
  • Beratung beim Übergang vom Kindergarten in die Schule
  • Beratung bei innerschulischen Übergängen (4/5, 10/11) und beim
Wechsel von Bildungsgängen
  • Beratung bei der Arbeits- und Berufsorientierung (u.a. in der Werkschule, Werkstufe)
  • Beratung bei der Planung der Schullaufbahn
Inklusion
  • unabhängige Beratungen von Eltern, Schüler:innen, Schulen und Institutionen im Hinblick auf Fragen zur integrativen, kooperativen und inklusiven Beschulung
Gewalt, Krisen und Notfällen
  • bei krisenhaften Ereignissen (Fälle der Gefährdungsgrade I und II laut Notfallplänen für die Schulen in Bremen).

Systemberatung

"Systemberatung gehört zum Repertoire sowohl des Landesinstituts für Schule als auch der Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren. In der Regel ergeben sich die systembezogenen Aufgaben im ReBUZ aus konkreten Problemlagen im Einzelfall und beinhalten z.B.:

  • Beratung der Schulleitung und Lehrkräfte, beispielsweise bei Gewaltvorfällen wie einem häufigen Auftreten von Mobbing an einer bestimmten Schule
  • Beratung der an der Schule Beteiligten bei schulischen Krisen- und Notfällen
  • Beratung der Lehrkräfte und Schulleitungen nach qualitativer Auswertung des LRS-Screenings."[^10]

Diagnostik

"Ziel der Diagnostik in ReBUZ ist, individuelle Problemlagen von Hilfesuchenden, bzw. Fragestellungen abzuklären und aufbauend darauf weitere Schritte der Beratung/ Unterstützung und Förderung zu entwickeln. Der Verlauf der Unterstützungsmaß- nahmen wird durch eine Prozessdiagnostik steuerend begleitet.

Durch die unterschiedlichen Berufsgruppen in ReBUZ ergibt sich die Möglichkeit der multiprofessionellen Kooperation und Ergänzung im Bereich der Diagnostik.

Zu Beginn des Diagnoseprozesses gilt es grundsätzlich, aus vorhandenen Unterlagen und nach Eingangsgesprächen die Problemlage und das Abliegen zu klären, um hypothesengeleitet die eigene Diagnostik zu vervollständigen und zu Beurteilungen sowie zu Entscheidungen für weitere Handlungsschritte zu kommen.

Mit geeigneten Methoden werden die verschiedenen Bedingungsfaktoren, die die individuelle Problemlage eines Schülers / einer Schülerin bewirken, verstärken oder aufrechterhalten, ermittelt, um Lösungsansätze zu entwerfen. Hierbei kommt dem sozialen Netzwerk eine besondere Bedeutung zu.

Die Auswahl der diagnostischen Verfahren (Gespräche, Anamnesen, Hospitationen, Beobachtungen, Fragebögen, Interviews, standardisierte Tests und informelle Verfahren) liegt in der Hand der Diagnostiker.

Diagnostik in ReBUZ muss transparent und für andere (Kinder, Eltern und Lehrkräfte, innerhalb der ReBUZ und für andere Institutionen bei Prüfung durch behördliche Gremien, z.B. bei rechtlichen Konflikten) nachvollziehbar sein. Ratsuchende sollen verstehen, auf welcher Grundlage die diagnostischen Prozesse erfolgen und welche Ergebnisse daraus hervorgehen."[11]

„Einsatzbereiche der Diagnostik
  • Diagnostik individueller Problemlagen: Wenn Fragen zu individuellen Problemlagen von Schülern und Schülerinnen in der Schule nicht hinreichend geklärt werden können, bietet das ReBUZ eine individuelle und umfängliche pädagogisch-psychologische Diagnostik in den Bereichen, die Themen der Beratung sind.

  • Gutachterliche Stellungnahmen bei verschiedenen Fragestellungen: Im Bereich der schulpsychologischen Diagnostik werden sie auf Wunsch der Eltern beim Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs erstellt. Im Bereich der pädagogischen Diagnostik werden z.B. Stellungnahmen bei Rechen- schwäche und Lese-Rechtschreibschwäche verfasst.

  • "Mitwirkung bei Screenings": Die Durchführung des LRS-Screenings erfolgt durch das LIS (Abteilung 2); ReBUZ beteiligt sich an dem Screening durch eine qualitative Auswertung der Ergebnisse und eine Beratung der Lehrkräfte der Schule, die an dem Verfahren teilgenommen hat."[^12]

Prävention

"Unter Prävention werden im ReBUZ alle Maßnahmen verstanden, die Kinder und Jugendliche in die Lage versetzen, ihr Leben zu bewältigen und ihre Ressourcen zu stärken. Die präventiven Maßnahmen können sich dabei sowohl an Einzelpersonen, v.a. Schülerinnen und Schüler, richten (z.B. Training sozialer Kompetenzen, Verstärkerprogramme) als auch beispielsweise an ganze Klassen (Beratung zu Klassenregeln, Organisation von Elternabenden zu speziellen Themen u.a.). Häufig sind Angebote auch an bestimmte Gruppen von Schülern und Schülerinnen oder Einzelne gerichtet, die in Bezug auf ein spezielles Verhalten (z.B. Gewalt, Schul- abbruch, Schulabsentismus, Sucht) aufgefallen oder deren Lebensbedingungen problematisch sind (z.B. Kinder aus Suchtfamilien oder aus Familien mit psychisch Erkrankten). Solche speziellen Präventionsangebote sollen unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten und Bedarfe auch für einzelne Stadtteile entwickelt werden."[^13]

Intervention bei Krisen, Notfällen und Gewaltvorkommnissen

"ReBUZ bietet professionelle Hilfe bei Krisen, Notfällen und Gewaltvorkommnissen an. Unter Krisen, Notfällen und Gewaltvorkommnissen sollen Ereignisse verstanden werden, die den täglichen Schulablauf so erschüttern können, dass das System Schule schlagartig aus dem Gleichgewicht zu geraten droht.

Beispiele für Krisen und Notfälle sind zielgerichtete schwere Gewalttaten und Großschadensereignisse, Geschehnisse wie Amokläufe, bzw. Amokdrohungen, Suizid oder Tod in der Schule; Beispiele für Gewaltvorkommnisse sind massives Mobbing-, Cyberbullyinggeschehen oder sexuelle Gewalt.

Um solche Situationen bewältigen zu können, brauchen Schulen ein bewusstes Krisenmanagement, das jenseits von Tabuisierung oder Aktionismus die Schritte so einrichtet, dass

  • kurzfristig individuelle und/oder institutionelle Überreaktionen verhindert werden
  • mittelfristig vernetzt mit anderen Organisationen an der Krisenbewältigung gearbeitet wird
  • langfristig Konsequenzen für ein künftiges Notfallmanagement gezogen werden können."[^14]

Für den Krisen- und Notfall sind die "Notfallpläne für die Schulen in Bremen" als Handlungsrichtlinien für Schulleitungen, Lehrkräfte und anderes schulisches Personal entwickelt worden. Sie stehen allen Bremer Schulen als Notfallordner zur Verfügung.

Intervention bei Schulabsentismus

"Eine grundlegende Voraussetzung für Interventionen bei Schulabsentismus ist das frühzeitige Erkennen und umgehende strukturierte Handeln. Insbesondere frühe Interventionen sowie Handlungshilfen für den Schulalltag sind durch ReBUZ zu entwickeln und umzusetzen. Ergänzende Sanktionsmaßnahmen sowie Kurzzeitinterventionskonzepte, die zu erarbeiten sind, finden dabei Berücksichtigung. Ein Austausch und die Zusammenarbeit aller beteiligten Kräfte muss dabei genauso gewährleistet sein, wie die umfassende Gestaltung von Übergängen zwischen regulären Unterrichtsangeboten, Förderprogrammen und schulersetzenden Maßnahmen, die engmaschig und verlässlich abgestimmt werden."[^15]

Schulunterstützende Maßnahmen (Schulergänzende und Schulersetzende Maßnahmen)

"Die ReBUZ arbeiten unter der Leitlinie, die inklusive Beschulung der Schülerinnen und Schüler zu unterstützen und zu fördern. Nach §55 Bremisches Schulgesetz können Schülerinnen und Schüler zur Erfüllung ihrer Schulpflicht vorübergehend von der Fachaufsicht einem ReBUZ zugewiesen und dort beschult werden, wenn ihr Lern- und Leistungsverhalten dies erforderlich macht oder von ihnen dauerhafte Störungen der Unterrichts- und Erziehungsarbeit in ihrer Schule ausgehen und die Maßnahmen nach §§46, 47 zuvor erfolglos geblieben sind.

Soweit irgendmöglich sollen die Schülerinnen und Schüler in der inklusiven Beschulung an ihrer Schule belassen werden; sie erhalten dort zusätzliche sonderpädagogische und sozialpädagogische Unterstützung durch Sonderpädagogen, Sozialpädagogen und weitere Fachkräfte des ReBUZ.

Auch wenn bei einigen Kindern und Jugendlichen eine vorübergehende Beschulung im ReBUZ nötig sein sollte, sollen sie Schülerinnen und Schüler ihrer Stammschule bleiben. Der Unterricht in den Kernfächern (Deutsch, Mathematik, Englisch) soll in Zusammenarbeit mit der besuchten Schule so gestaltet werden, dass die Anschlussfähigkeit bei der Rückkehr (frühestens nach sechs Monaten – längstens nach zwei Jahren) gewährleistet ist.

Unterrichtsergänzende Angebote sollen dabei Vorrang haben vor Maßnahmen, die mit der Herauslösung eines Schülers aus der Lerngruppe verbunden sind. ReBUZ gibt als subsidiäres System Hilfen, wo die Kräfte der in der Schule Beteiligten (Schule, ZuP) zur Bewältigung der Problemlagen nicht ausreichen.

Schulergänzende Maßnahmen finden vor Ort statt; d.h. in der Regel in der Schule. Die Maßnahmen sind in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit den Lehrkräften und den ZuP Mitarbeiterinnen zu entwickeln. Sie beziehen, wenn möglich, alle zur Bewäligung der Problemlage notwendigen Akteure ein.

Schulersetzende Maßnahmen kommen dann zustande, wenn die schulergänzenden Maßnahmen sich als nicht ausreichend erwiesen haben. In eine schulersetzende Maßnahme können schulpflichtige Schülerinnen und Schüler aller Klassenstufen begrenzt aufgenommen werden. Die Schülerinnen und Schüler bleiben allerdings auch während des Aufenthalts in einer schulersetzenden Maßnahme Schüler ihrer Stammschule. Durch die intensive Beziehung in kleinen Gruppen und die psychologische Begleitung in einer überschaubaren Struktur sollen Regeln und Kompetenzen vermittelt werden, die den Schülerinnen und Schülern eine erfolgreiche Rückkehr in das Regelschulsystem ermöglichen.

Die Maßnahmen finden im Rahmen der Aufgabe aller Schulen im bremischen Schulsystem, sich zu inklusiven Schulen zu entwickeln, statt. Dies geschieht durch gemeinsames Handeln der damit beauftragten Sonderpädagogen und Sozialpädagogen sowie der Lehrkräfte der jeweiligen Schule – im Zusammenwirken mit den Erziehungsberechtigten – je nach Bedarf mit der Jugendhilfe und dem Gesundheitsamt und beinhaltet die Verknüpfung des schulischen mit dem außerschulischen Bereich.

Ziele der temporären zusätzlichen Unterstützung sind der Erwerb und die Festigung emotional-sozialer Kompetenzen, die damit verbundene bestmögliche schulische Eingliederung sowie der Verbleib im inklusiven Bremer Schulsystem.

Unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten sowie der unterschiedlichen räumlichen, sachlichen und personellen Ausstattungen der Schulen gibt es kein einheitliches und verbindliches Unterstützungsmodell. Stattdessen werden vielfältige offene und flexible Systeme, die den betroffenen Schülerinnen und Schülern entsprechen, mit den jeweils Beteiligten entwickelt und an den einzelnen Schulstandorten etabliert.“[^16]

Koordinierung

"ReBUZ übernimmt Koordinierungsaufgaben bei den folgenden speziellen Kursen und Projekten:

  • Bremer Lese-Intensiv-Kurse (BLIK)
  • LRS-Kurse (Zusatzförderung)
  • Mathematik-Kurse (Zusatzförderung)
  • Vorkurse für Sprachanfänger
  • Reintegration der Schülerinnen und Schüler nach stationärem Aufenthalt
  • Herbstcamps
  • Roma-Projekt
  • Sinti-Projekt
  • Autismus-Projekt
  • Projekt "Voll im Blick"
Koordinierende Aufgaben im Übergang Schule und Beruf:

Ein Aufgabenschwerpunkt des ReBUZ ist der systematische Aufbau einer Netz- werkbildung im Übergangssystem Schule-Beruf. Bestehende Angebote können so regional besser aufeinander abgestimmt und vorhandene Ressourcen effektiver eingesetzt werden.“[^17]

Kooperation und Netzwerkarbeit

ReBUZ hat bei seiner Gründung den Auftrag erhalten, bestehende ressortübergreifende Kooperationen wie z.B. beim Schulvermeiderprojekt SCHUPS fortzuführen und die Netzwerkarbeit voranzutreiben, insbesondere die Vernetzung von Schule und Jugendhilfe.

ReBUZ hat darüberhinaus eine Vielzahl von Kooperationspartnern, mit denen es gilt, die schon bestehende enge Zusammenarbeit kontinuierlich weiter zu entwickeln. Dies betrifft insbesondere die Kooperation mit dem LIS, den Bereichen Gesundheit und Soziales u.a.[^18]

Folgende Übersicht stellt den Kreis der Kooperationspartner dar:

Abbildung Kooperationsnetzwerk ReBUZ

4.3. Fallarbeit konkret:

Um den Ablauf einer Beratung im ReBUZ konkret nachvollziehen zu können, sind im Folgenden die einzelnen Schritte kurz aufgelistet:

Es beginnt mit einer Beratungsanfrage, die von Seiten der Schule, der Eltern, der Schüler:innen oder anderer Institutionen telefonisch oder schriftlich erfolgen kann.

In der wöchentlichen Dienst-, bzw. Teambesprechung aller Mitarbeiter:innen des ReBUZ wird im Rahmen der Fallverteilung die Anfrage einer Hauptproblematik zugeordnet und eine Mitarbeiter:in übernimmt den Fall federführend. Die Mitarbeiter:in nimmt Kontakt zur Anmelder:in auf und vereinbart ein Erstgespräch, um die Problemlage und den Auftrag zu klären. Abhängig vom Beratungsanliegen und der Problemlage gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. Nach dem Grundverständnis der ReBUZ, möglichst alle in den Beratungsprozess einzubeziehen, die am Zustandekommen der Problemlage beteiligt sind und/oder bei der Bewältigung der Problemlage helfen können, werden u.U. weitere Personen einbezogen. Das können in der Schule neben den Lehrkräften die Mitschüler:innen oder andere Hilfskräfte, sowie außerhalb der Schule die Familienmitglieder oder sonstige Bekannte und Freunde sein. Der oder die Federführende entscheidet im Einvernehmen mit den Ratsuchenden über das weitere Vorgehen.

In der Phase der Fallbearbeitung geht es dann darum, weitere Schritte zu vereinbaren. Das können je nach Problemlage Unterrichtshospitationen, Explorationen, Testuntersuchungen, Anamnesegespräche und weitere Gespräche sein. Falls sich abzeichnet, dass eine weitergehende Unterstützung im Lern- oder emotionalen Bereich notwendig sein sollte, wird die Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeiter:innen, bzw. Institutionen gesucht.

Die Fallarbeit endet mit dem Fallabschluss.[^19]

5. Kritischer Rückblick und Ausblick

Als Schulpsycholog:innen haben wir allgemein begrüßt, dass das Bundesland Bremen zu den Vorreiter:innen gehörte, das den Anspruch auf Inklusion im Bildungswesen entsprechend der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt hat. Grundsätzlich gehen wir von der Annahme aus, dass eine inklusive Bildungspolitik das Ziel hat, dem Anspruch eines jeden Kindes auf Erziehung und Bildung, auf die entsprechende Entfaltung seiner Persönlichkeit und auf eine altersgerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gerecht zu werden; d.h. es geht nach unserem Verständnis von Inklusion nicht nur um das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen, sondern ebenso auch um das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen mit ihren unterschiedlichen sozialen, familiären, ethnischen und kulturellen Wurzeln und Voraussetzungen.

Ebenso haben wir überwiegend befürwortet, dass mit den ZuP- und ReBUZ- Einrichtungen ein umfangreiches Beratungs- und Unterstützungssystem in Bremen geschaffen worden ist, das Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften zentrale Hilfen für alle Problemlagen anbietet, die mit Schule zusammenhängen.[^20] Bei den komplexen schulischen Problemlagen verschiedene Professionen zusammenzuführen, erscheint angesichts der Komplexität und Vielseitigkeit der Aufgaben sinnvoll und notwendig.

Es sind in diesem Reformprozess allerdings Entscheidungen getroffen und Entwicklungen gefördert worden, die aus schulpsychologischer Sicht problematisch sind und der Überprüfung, ggf. der Veränderung bedürfen. Einige der Kritikpunkte betrafen schon die Einrichtung des Zentrums für schülerbezogene Beratung (ZfsB). Der kritische Blick richtet sich auf die Entwicklung bis zum Jahre 2015.

Unterfinanzierung des Inklusionsprozesses

Das Gutachten von Klaus Klemm und Ulf Preuss-Lausitz hatte suggeriert, dass man mit einer guten Steuerung den Inklusions-Reformprozess mit geringen zusätzlichen Ressourcen bewältigen könnte. Das erwies sich innerhalb kurzer Zeit als Fehleinschätzung. Die Auswirkungen waren in den ersten Jahren auf allen Ebenen zu spüren. Es fehlten Sonderpädagog:innen in den Regelschulen und den ZuPs; ZuP-Leitungen konnten nicht hinreichend besetzt werden, die Ausschreibungen der Stellen für die ReBUZ waren langwierig, so dass lange Zeit bei laufendem Betrieb eine personelle Unterversorgung vorherrschte. Räumlichkeiten fehlten für die zeitnahe Umsetzung der schulunterstützenden Maßnahmen; kurzum: In der Anfangsphase fehlten Fachkräfte und finanzielle Mittel, wie die zuständige Bildungssenatorin Frau Jürgens-Piper erkennen musste und schließlich mit ihrem Rücktritt quittierte.

ZuP – Einrichtung : Überforderung und Mangel

Es ist anzumerken, dass der professionelle Zuschnitt der ZuP-Einrichtungen z.T. hinter die bereits existierenden Erfahrungen und Qualitätsstandards der Vergangenheit zurückfiel. Schulpsycholog:innen waren seit Jahrzehnten regional, aber auch schulintegrativ tätig. Sie waren an integrierten Gesamt- und Modellschulen und an speziellen Förderzentren wie z.B. der Fritz-Gansberg-Straße seit Gründung der Schulen tätig: in den Aufgabenbereichen der Diagnostik, der Beratung und im Einzelfall der therapeutischen Unterstützung. Jahrzehntelang bewährte Standards abzubauen, ist aus fachlicher und sachlicher Sicht In Frage zu stellen. Die im Wesentlichen aus Ressourcenüberlegungen erfolgte Bündelung der Schulpsycholog:innen im "Zentrum für schülerbezogene Beratung" (LIS) und die Überführung in die ReBUZ-Einrichtungen rechtfertigt in unseren Augen angesichts der gewaltigen Herausforderungen nicht, jahrzehntelang bewährte Standards aufzugeben. Neben einer Vielzahl an pädagogischen Kompetenzen in den ZuPs ist die Ergänzung durch die psychologische Kompetenz zu fordern, zumindest wie zuvor in einigen ausgewiesenen Schulen.

Zudem hat die Erfahrung der ersten 3 Jahre inklusiver Beschulung v.a. in den Oberschulen gezeigt, dass es in jedem Jahrgang Schüler:innen mit einem hohen Förderbedarf in dem Bereich sozial-emotionaler Entwicklung gab, die in der Klasse überfordert waren. Sonderpädagogische Unterstützungsmaßnahmen von ca 4 Stunden sind den besonderen Bedürfnissen dieser Schüler:innen nicht gerecht geworden.; d.h. dass der Ausbau der Beratungs- und Unterstützungszentren beschleunigt vorangehen müsste.

ReBUZ ist keine Schule, aber beschult - Verbindung von Beratung und Beschulung

ReBUZ die Durchführung schulunterstützender und befristeter schulersetzender Maßnahmen nach §55 Absatz 4 des Bremischen Schulgesetzes zuzuweisen, ist in unseren Augen grundsätzlich problematisch, da ReBUZ keine Schule, sondern im Kern ein Beratungs- und Unterstützungssystem sein soll. Die Bündelung der Aufgaben von Diagnostik, Begutachtung, Beratung und Durchführung der Beschulung in einer Institution ist in Frage zu stellen; sie ist dem fachlichen Erkenntnisstand nicht angemessen, urteilten schon Klemm und Preuss-Lausitz in ihrem Gutachten.[^21] Im Zentrum für schülerbezogene Beratung waren diese Zweifel ebenfalls aufgetaucht, als die Beratungsstelle gegen Schulvermeidung in das Zentrum integriert wurde, obwohl klar war, dass Beratungsstandards wie Freiwilligkeit und Neutralität in diesem Arbeitsfeld nicht gelten könnten. Beratung als Kernaufgabenbereich von ReBUZ zu bewahren und auf die Einhaltung der Qualitätsstandards (freier Zugang, Freiwilligkeit, Unabhängigkeit und Neutralität, Schweigepflicht) zu achten, sollte in einem Inklusionsprozess von zentraler Bedeutung sein. Eine klare Trennung der verschiedenen Aufgaben innerhalb oder außerhalb der ReBUZ könnte ein Lösungsansatz sein, der eine Kooperation nach wie vor ermöglichte.

Neue Organisationsstruktur – keine Ausgewogenheit der Säulen "Beratung und Unterstützung" sowie "schulunterstützende Maßnahmen"

Mit der Gründung der ReBUZ-Einrichtungen wurden das ehemalige Zentrum für unterstützende Beratung (ZfsB) mit seinem Beratungs- und Unterstützungsanteil sowie Teile der Förderzentren (FÖZ) zusammengelegt. Die sonderpädagogische Kompetenz aus den FÖZ sollte v.a. für den Aufbau der schulunterstützenden Maßnahmen genutzt werden. "Beratung und Unterstützung" sowie "schulunterstützende Maßnahmen" wurden allerdings nicht wie gleichberechtigte Säulen der neuen Einrichtung behandelt: ehemalige Schulleiter:innen aus den FÖZ wurden - mit einer Ausnahme - als Leiter:innen der ReBUZ eingesetzt; die Regionalteamleiter:innen des ZfsBs wurden - mit einer Ausnahme - stellvertretende Leitungen, was einer Ungleichbehandlung beider Säulen gleichkam und die bisherigen Erfahrungen und Leistungen der Schulpsychologischen Beratungsdienste und des ZfsBs nicht hinreichend würdigte. Möglich wurde diese Entscheidung auch dadurch, dass man ReBUZ nicht im LIS, wie das ZfsB, sondern direkt in der Behörde ansiedelte. Damit waren neue Strukturen geschaffen, die auch erlaubten, neue Leitungen einzusetzen. Die beiden anderen Stadtstaaten Hamburg und Berlin haben aus guten Gründen Modelle entwickelt, die die Gleichbehandlung beider Säulen sichern.

Multiprofessioneller Ansatz – ein Missverständnis?

Bei komplexen schulischen Problemlagen einen Professionsmix mit verschiedenen Kompetenzen zur Verfügung zu stellen, ist inzwischen fachlicher Standard. Unterschiede gibt es im Verständnis, wie die Professionen einzusetzen sind.

Im ReBUZ wird Wert darauf gelegt, dass in allen Fachteams und Fachgruppen alle Kompetenzen vertreten sind, um zu gewährleisten, dass eine Problemlage von verschiedenen Blickwinkeln heraus betrachtet und angegangen werden kann.

Das klingt gut nachvollziehbar, setzt sich aber in der Form nicht im Beratungsalltag um. Es ist entscheidend, wie eine Beratungsanfrage verstanden wird und demzufolge wer eine Beratungsanfrage federführend übernimmt. Je nach fachlicher Orientierung wird die Berater:in die Problemlage einordnen, diagnostische Maßnahmen ergreifen und Beratungsschritte einleiten. So kann es sein, dass eine Schüler:in mit Lernproblemen einer Pädagog:in zugeordnet wird, obwohl sich beim Erstgespräch klärt, dass er darüberhinaus noch massive Leistungsängste hat und gemobbt wird, also möglicherweise bei einer Schulpsycholog:in in besseren Händen wäre. Es wäre ratsam zu realisieren, dass nicht alle alles können, dass in der Ergänzung die Stärke liegt. Psychische Auffälligkeiten sollten die Domäne der Schulpsychologie bleiben; die Feststellung besonderer Förderbedarfe sind erfahrungsgemäß bei Sonderpädagog:innen in guten Händen. Ein Fortschritt wäre es, wenn aufgrund genügender Ressourcen Zusammenarbeit in der Fallarbeit nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall wäre.

Kein originäres Aufgabenfeld mehr für die Schulpsychologen

Mit der Einführung des multiprofessionellen Ansatzes besitzen die Schulpsycholog:innen kein originäres Aufgabenfeld mehr. So sind beispielsweise nebeneinander Schulpsycholog:innen und Lehrkräfte mit Spezialkompetenz zuständig für den Bereich "LRS", wenn auch ihre Vorgehensweisen unterschiedlich sind. Ebenso sind Unterschiede im Vorgehen zu erwarten, wenn es um den Bereich "Verhaltensauffälligkeiten" geht; eine Lehrkraft oder eine Sonderpädagog:in oder eine Schulpsycholog:in werden aufgrund ihrer verschiedenen Berufsausbildungen und Beratungsverständnisse den Fokus der Beratung unterschiedlich setzen und möglicherweise unterschiedliche Lösungen mit den Betroffenen entwickeln; insbesondere, wenn es darum geht zu klären, ob Ratsuchenden therapeutische Gespräche als Unterstützung angeboten werden können.

Reformbedarf der Fachstruktur

Die Mitarbeiter:innen in den ReBUZ ordnen sich Fachteams und Fachgruppen zu, die den Themenkreisen bei den Beratungsanfragen entsprechen. Schulpsychologische Erfahrungen weisen jedoch darauf hin, dass mit Ausnahme der Feststellung von Behinderungen, die schon im Vorfeld der Beschulung festgestellt worden sind (Bereiche Hören, Sehen, körperliche und geistige Behinderungen), eine klare Zuordnung zu den übrigen Kategorien schwer möglich ist. Sozial-emotionale Schwierigkeiten sind von Lern- und Leistungsproblemen nicht trennscharf zu unterscheiden. In der Regel haben die Probleme multiple Ursachen und bedingen einander. Die Zuordnung im Einzelfall kann im Grunde erst das Ergebnis eines diagnostischen Prozesses sein. Zudem sind die in der Schule auftretenden Probleme in der Regel auch Beziehungsprobleme. Eie Schüler:in hat im eigentlichen Sinne keine Probleme, sondern macht Probleme; und es ist die gemeinsame Aufgabe der Schule, des Elternhauses und der Beratungsdienste, die möglichen Ursachen dieser Probleme zu verstehen und Lösungsansätze für einen konstruktiven Umgang mit den vielfältigen Problemlagen zu finden. Insofern ist es angeraten, die Einteilung in so stark aufgesplitterte Fachteams und Fachgruppen zu überprüfen und ggf. zu verändern.

Eingeschränktes Elternrecht auf eine unabhängige, neutrale Beratung

Zu Zeiten des Zentralen schulpsychologischen Dienstes hatten die Eltern das Recht, ein schulpsychologisches Gutachten einzufordern, wenn sie Zweifel am Vorgehen und der Entscheidung der Schule hatten, ein sonderpädagogisches Gutachten für ihr Kind in Auftrag zu geben und ggf. die Zuweisung zu einem Förderzentrum einzuleiten. Das schulpsychologische Gutachten sollte ihnen aus einer anderen als der pädagogischen und sonderpädagogischen Sicht Anhaltspunkte an die Hand geben, eine Entscheidung über die weitere schulische und persönliche Entwicklung ihres Kindes zu treffen. In der Vergangenheit gab es Fälle, in denen die fachlichen Gutachten (sonderpädagogisches und schulpsychologisches) stark differierten und die Eltern mithilfe des schulpsychologischen Gutachtens die Zuweisung ihrer Kinder an Förderzentren umgehen, bzw. andere Wege der Unterstützung für ihr Kind finden konnten. Im inklusiven System wird es nicht mehr die Zuweisung zu Förderzentren gegen den Willen der Eltern geben; Interessenskonflikte wird es hingegen immer geben. Mögliche Zuweisungen zu schulersetzenden Massnahmen in die ReBUZ, die nach §55 Abs. 4 BremSchulG möglich sind, mögen nicht immer im Einklang mit den Vorstellungen der betroffenen Schüler:innen und deren Eltern sein, so dass Konflikte vorprogrammiert sind.

Den Eltern ist eine unabhängige, neutrale Anlaufstelle verloren gegangen. In der Vergangenheit sind verschiedene Ideen diskutiert worden, wie eine Lösung aussehen könnte. Der Vorschlag, in Konfliktfällen andere Personen oder Institutionen hinzuzuziehen, wie z.B. den Landesbehindertenbeauftragten oder andere "Personen des Vertrauens", berücksichtigt nicht, dass es im Konfliktfall nicht nur der neutralen Mediation , sondern v.a. auch der fachlichen Expertise bedarf. Um die neutrale unabhängige Position innerhalb der bestehenden Strukturen wahrnehmen zu können, müsste die Rolle der Schulpsycholog:innen als unabhängige Gutachter:innen entweder innerhalb des ReBUZ gestärkt werden oder es wäre zu überlegen, eine neue Instanz im Sinne einer Mediations- und Konfliktberatungsstelle mit entsprechender Fachkompetenz zu schaffen.

Kein direkter Zugang mehr zur schulpsychologischen Beratung für Lehrkräfte, Schüler:innen sowie Eltern

Durch die Konstruktion des ReBUZ als subsidiäres System ist nicht mehr gewährleistet, dass Lehrkräfte, Eltern und Schüler:innen einen unmittelbaren, direkten und niedrigschwelligen Zugang zu schulpsychologischen Beratungs- und Unterstützungsleistungen haben.

Lehrkräfte sind angehalten, sich zunächst ans ZuP zu wenden und falls der Beratungsbedarf fortbesteht, über die ZuP-Leitung ans ReBUZ. Der für sie vorgezeichnete Weg über das ZuP, bzw. die ZuP-Leitung, kann als umständlich und widrig empfunden werden, wenn jemand explizit eine schulpsychologische Beratung wünscht, die im ZuP nicht vertreten ist. In einigen Fällen kann der Weg sogar kontraindiziert sein, dann nämlich, wenn Lehrkräfte sich scheuen, Unterstützung innerhalb der Schule einzufordern, sei es, weil sie befürchten, als inkompetent angesehen zu werden, sei es, weil das Vertrauen in eine gute Zusammenarbeit mit den Kräften vor Ort fehlte. Schulpsychologische Beratung sollte niedrigschwellig zugänglich und unabhängig sein und in einem geschützten Rahmen stattfinden. Aber auch für die Kinder und Jugendlichen und deren Eltern ist der Zugang zu einer schulpsychologischen Beratung nicht gesichert. Je nachdem, was als Anmeldegrund angegeben wird, kann man auf eine Berater:in treffen, die zwar derselben Fachgruppe und demselben Fachteam zugeordnet ist, aber eine andere professionelle Ausbildung besitzt. Kinder und Eltern haben im ReBUZ kein gesichertes Recht auf eine schulpsychologische Beratung, obwohl das ihnen nach dem Schulverwaltungsgesetz (§14 (1) Brem Sch VwG) zusteht.[^22]

Letztendlich ist es für Ratsuchende nicht möglich, zu erkennen, welcher Profession eine Berater:in angehört, die ihnen entgegen tritt. Mit Ausnahme des ReBUZ Nord werden z.B. auf der Webseite alle Mitarbeiter:innen der ReBUZ-Einrichtungen als Referent:innen geführt, ohne dass Angaben zu ihrem beruflichen Profil erfolgten.

Einhalten der Qualitätsstandards bei der Beratung

Beratung als Kernaufgabenbereich von ReBUZ zu bewahren und auf die Einhaltung der Qualitätsstandards zu achten, sollte in einem Inklusionsprozess von zentraler Bedeutung sein.

Hier seien die Qualitätsstandards nochmals erläutert[^23]:

  • Freier Zugang: Eltern, Schüler:innen, Lehrkräfte, Schulleitung und Schulaufsicht haben grundsätzlich einen freien und direkten Zugang zur schulpsychologioschen Beratung.
  • Freiwilligkeit: Beratung ist immer freiwillig. Gleichwohl zeigt die Praxis, dass viele Rat Suchende von anderen Personen geschickt werden. In einem solchen Fall dient das Erstgespräch zur Anbahnung eines freiwilligen Beratungskontaktes. Weitere Gespräche, die nach einem solchen Erstgespräch stattfinden, basieren auf Freiwilligkeit.
  • Vertraulichkeit: Der Schutz der Rat Suchenden ist ein zentrales Anliegen. Ohne Einverständnis der Rat Suchenden werden keine Informationen aus den Beratungskontakten nach außen – d.h. außerhalb des ReBUZ – weitergegeben. Die Weitergabe nach außen wird durch eine Schweigepflichtentbindung geregelt.
  • Unabhängigkeit: Der Weg zur Lösung der schulischen Problematik wird gemeinsam zwischen Rat Suchender und Berater:in entwickelt.

Der freie und direkte Zugang ist nach dem Konzept von ReBUZ nicht für alle gewährleistet.

Vernachlässigter Umgang mit psychisch auffälligen Schüler:innen

Mit der Schwerpunktsetzung der Unterstützung von Schüler:innen, die im Regelschulsystem zu integrieren seien, besteht die Gefahr, aktuelle Tendenzen nicht hinreichend wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Gemeint ist die Zunahme von psychisch auffälligen Schüler:innen in den vergangenen Jahren.

Seit Langem weisen verschiedene Untersuchungen zur Situation der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen[^24] übereinstimmend darauf hin, dass es eine Zunahme der psychischen Auffälligkeiten gibt und bei ca 20% der untersuchten Kinder Angststörungen, dissoziale-aggressive Störungen, sowie depressive Störungen und hyperkinetische Störungen auftreten. Die Erfahrungsberichte der Lehrkräfte aus den Schulen bestätigen diese Einschätzung. Seit 2008 dokumentieren die Schulärzt:innen bei der Schuleingangsuntersuchung anhand eines Screenings, dass auch in Bremen etwa 20 % der Erstklässler:innen psychische Auffälligkeiten aufweisen.[^25]

Reduzierte Systemberatung im ReBUZ

Die Entscheidung, Teile der Systemberatung in die Abteilungen Fort- und Ausbildung des LIS auszugliedern, war schon mit der Gründung des ZfsBs gefallen. Supervision z.B. sollte nur noch auf den Einzelfall bezogen möglich sein. Diese Entscheidung erscheint aus schulpsychologischer Sicht nach wie vor als fraglich. Schulpsycholog:innen waren seit Jahrzehnten im Bereich der Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte tätig und haben verschiedene Projekte wie z.B. die 2 jährige Beratungslehrer:innen-Ausbildung mit auf den Weg gebracht. Einzelfallhilfe und systemorientierte Beratung sind einander ergänzende Angebote der Schulpsychologie, auf die Schule nicht verzichten sollte. Blicke in das Aufgabenspektrum schulpsychologischer Dienste in anderen Bundesländern mögen das unterstreichen und weitere Anregungen geben.

Mangelnde Repräsentanz in der Bildungsbehörde

Seit der Auflösung des Zentralen Schulpsychologischen Dienstes gibt es keine Referent:in mehr in der senatorischen Bildungsbehörde, der für schulpsychologische Belange zuständig wäre. Damit dürfte Bremen zu einem der wenigen Bundesländer gehören, in denen es keine Referent:in für Schulpsychologie mehr gibt, und das, obwohl die schulpsychologische Beratung im Bremer Schulgesetz in §14 Abs. 2 des Schulverwaltungsgesetzes verankert ist. Wer nicht vertreten ist, wird auch nicht gehört und findet sich auch nicht in Planungs- und Entscheidungsprozessen wieder. Aus schulpsychologischer Sicht ist es fraglich und verwunderlich, dass die Bildungsbehörde in Bremen keine Notwendigkeit sieht, psychologische Kompetenz in die Planungs- und Entwicklungsprozesse der Bildungspolitik einzubeziehen.

Nachbemerkung

Zu meiner Person: Ich bin von der Ausbildung her Lehrerin und Psychologin und habe therapeutische Zusatzausbildungen in Geprächspsychotherapie und systemi- scher Familientherapie gemacht. 2000 habe ich als Psychologische Psycho- therapeutin die Approbation für Kinder, Jugendliche und Erwachsene erhalten. Seit 1987 bin ich als Schulpsychologin in Bremen tätig gewesen, zunächst als Schulpsychologin an Schulen im Bremer Westen, dann seit 2007 als Regionalteamleiterin des Zentrums für schülerbezogene Beratung im Westen und darauf folgend von 2010 bis 2015 als stellvertretende ReBUZ-Leiterin im Westen. Berufspolitisch bin ich im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psycho- logen e.V. organisiert; von 2001 bis 2005 war ich als Vorstandsmitglied der Landesgruppe Bremen und von 2002 bis 2015 als Landesbeauftragte der Sektion Schulpsychologie in Bremen tätig.

Birgit Muhl, 2022

[^6] Vgl. Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, S.3; Entwicklungsplan Inklusion (EPI) in der Fassung vom Juni 2010, S.25.

[^7] Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, S. 4

[^8] Vgl. Ausführungen im Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, Qualitätsentwicklung, S. 7-17.

[^9] Ausführungen im Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, Qualitätsentwicklung, S. 8f.

[^10] Ausführungen im Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, Qualitätsentwicklung, S. 9f.

[^11] Ausführungen im Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, Qualitätsentwicklung, S. 10f.

[^12] Ausführungen im Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, Qualitätsentwicklung, S. 10f.

[^13] Ausführungen im Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, Qualitätsentwicklung, S. 8.

[^14] Ausführungen im Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, Qualitätsentwicklung, S. 10f.

[^15] Ausführungen im Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, Qualitätsentwicklung, S. 12.

[^16] Ausführungen im Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, Qualitätsentwicklung, S. 11f.

[^17] Ausführungen im Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, Qualitätsentwicklung, S. 14f.

[^18] Ausführungen im Konzept ReBUZ auf der Webseite ReBUZ Bremen, Qualitätsentwicklung, S. 12f.

[^19] Vgl. Ausführungen zum "Zugang zur Beratung" auf der Webseite ReBUZ Bremen

[^20] Vgl. den Bericht von Birgit Muhl, Entwicklungslinien der Schulpsychologischen Beratungsdienste in der Stadtgemeinde Bremen – Ist die Schulpsychologie in Bremen ein Opfer des Reformeifers der Bildungsbehörde geworden? Bremen 2022, S. 24ff.

[^21] Vgl. Gutachten von Klemm, Preuss-Lausitz 2008, Kapitel 4, 6 und Zusammenfassung.

[^22] § 14 Schulpsychologische Beratung (1) Die Stadtgemeinden organisieren die schulpsychologische Beratung und die schulische Drogenberatung und andere Beratungs- und Unterstützungsleistungen. Die Beraterinnen und Berater sind verpflichtet, sich entsprechend den fachlichen Aufgaben ihrer Beratungsdienste fortzubilden. (2) Sie können Regionale Beratungs- und Unterstützungszentren einrichten, die im Rahmen ihrer Unterstützungsaufgaben auch Schülerinnen und Schüler vorübergehend beschulen, wenn ihr Lern- und Sozialverhalten eine Beschulung in der allgemeinen Schule nicht zulässt.

[^23] Schulpsychologie in Deutschland - Berufsprofil, hrsg. vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP), Berlin 2014, S. 5

[^24] Vgl. z.B. "Bella-Studie", hrsg. vom Robert-Koch-Institut , Berlin 2006; Bericht zur Kinder- und Jugendgesundheit in Deutschland, hrsg. vom bDP, Berlin 2007.

[^25] Vgl. GBE-Praxisbericht (Gesundheitsberichtserstattung), Psychosoziale Auffälligkeiten bei Bremer Schulanfängern, September 2010.

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