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- Mario

100 Jahre Schulpsychologie - Future-Skills

Peter Spiegel präsentierte auf der Festveranstaltung "100 Jahre Schulpsychologie in Deutschland" einen Abriss über zukünftig benötigte Fähigkeiten in der Schulpsychologie - Future Skills. Zudem wurde in der Praxis Schulpsychologie ein Artikel zum Jubiläum und Future Skills veröffentlicht was wir freundlicherweise zur Verfügung stellen dürfen. Wir danken dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP - Sektion Schulpsychologie) und Peter Spiegel für das zur Verfügung stellen dieses zukunftsweisenden Vortragsinhalts.

Peter Spiegel Portrait

Das Alphabet des 21. Jahrhunderts

FUTURE SKILLS als neues Zukunftsfundament

Lesen und Schreiben waren die Grundvoraussetzung für die Entwicklung menschlichen Fortschritts und Wohlstands in den vergangenen Jahrhunderten. Im digitalen Zeitalter kommen digitale Kompetenzen hinzu, welche sich als ebenso zukunftsent scheidend erweisen wie einst das Lesen und Schreiben. Aber das Wichtigste, was Bildung für das 21. Jahrhundert braucht, fehlt noch. Und genau hier können Schulpsychologinnen und Schulpsychologen eine Schlüsselrolle spielen.

Wenn wir die Erfordernisse, Möglichkeiten und Herausforderungen des digitalen Zeitalters angemessen „lesen“ (im Sinne von verstehen) und „schreiben“ (also konkret umsetzen und gestalten) wollen, bedarf es einer weit tiefer gehenden Ebene von Future Skills. Wir bezeichnen diese als „Life Skills“, als „Lebenskompetenzen“ oder „Lebens-Schlüsselkompetenzen“.

Die kürzeste und trefflichste Definition dazu stammt von Sir Ken Robinson, dem weltweit angesehenen britischen Bildungsvordenker: „Imagination is what makes us human“. Er fasst dabei „Imagination“ – die menschliche Vorstellungskraft – als die Mutter all jener Kompetenzen auf, die den Menschen zum Menschen machen.

Dieses Verständnis passt zu jenem, was das Silicon Valley schon sehr früh als die eigentliche Ursache für die dortige Kreativitätsexplosion erkannte. Die Region, die zum Inbegriff für das digitale Zeitalter wurde, identifizierte vier „ur-menschliche“ Future Skills als unbedingte Voraussetzung und überragende Schlüsselkompetenzen für die dort aufgeblühte Innovationskraft: Creativity, Collaboration, Communication und Critical Thinking.

Diese wurden als „die vier C’s-DNA“ des digitalen Zeitalters bekannt. Von daher dürfte es bereits klar sein: Eine Verkürzung von „Future Skills“ auf digitale Kompetenzen wäre ein Kardinal fehler. Doch die Erkenntnis, was alles in den Kreis der universell zukunftsentscheidenden „Future Skills“ gehört, hat sich sehr schnell über die vier ersterkannten „Kompetenzen DNA’s für das digitale Zeitalter“ ausgeweitet. Diese lassen sich – neben den unmittelbar digitalen Kompetenzen – so zusammenfassen:

Es sind die persönlichen, sozialen und lebenspraktischen Kompetenzen, die die Grundvoraussetzung für das Lesen und Schreiben gelingender guter Zukunft in allen Lebensbereichen darstellen. Einige dieser zentralen Kompetenzen – Life Skills – finden Sie in der folgenden Abbildung aufgeführt.

Die notwendige Hoffnungsgeschichte

Die „Lebensschlüsselkompetenzen“ sind also in allen Bereichen menschlichen Lebens und Wirkens „das Alphabet guten und gelingenden Lebens“. Sie sind der Kern einer umfassenden und tiefgreifenden neuen Hoffnungsgeschichte. Sie sind im besten Interesse aller Menschen. Und sie sind der beste und sicherste Weg, dass die Wende zur Zukunftsfähigkeit für alle Akteure in allen Systemen und für alle großen Herausforderungen der Gegenwart gelingt.

Und noch mehr: Sie sind die lebenspraktische Umsetzung des Kerns der grundlegenden Kulturwende im 21. Jahrhundert, den das WeQ Institute entdeckte, als es in mehreren Studien 2014/15 mehr als 200 bahnbrechend neue und je einzeln bereits weltverändernde Zukunftstrends wie Open Space, Co-Creation, Open Innovation, Design Thinking, Wiki, Circle Economy oder Impact Investing untersuchte. Diese neue Generation von Trends unterscheidet sich von früheren signifikant durch deutlich mehr gesamtsystemisches Denken und deutlich kollaborativeres Handeln. Weitere Forschungen bestätigten diese Merkmale als Metatrend des 21. Jahrhunderts, dem wir den Namen „WeQ“ im Sinne von „More than IQ“ gaben, im Sinne von „kollaborativer Intelligenz“.

Dass es dringlichst eines weltweiten Durchbruchs dieses neuen Denkens und Handelns bedarf, setzt sich inzwischen selbst in der globalen Wirtschaft immer vehementer als Erkenntnis durch. Todd Khozein, einer der Repräsentanten einer bereits radikal umdenkenden Generation von Unternehmensberatern, sieht in „collaboration the next competition“. Der neue „Wettbewerb“ entscheidet sich nicht länger an der „Wettbewerbs-“, sondern an der „gesamtgesellschaftlichen Kollobarations-Intelligenz“. Todd Khozein ist der Erfinder eines der erfolgreichsten Formate für diese Qualität der Zusammenarbeit: der Hackathons.

Gesamtsystemisches Denken und „collaboration is the next competition“ gilt für alle zukunftsrelevanten Trends, für alle hoffnungsstiftenden Zukunftsideen und -innovationen, für die Zukunftsfähigkeit einer jeglichen Organisation sowie für die neue Qualität von Lernen. Kollaborative menschliche Future Skills auf der Grundlage von gesamtsystemisch orientierten Werten und Haltungen sind für all dies das entscheidende Zukunftselixier.

Von der Wissens- zur Kompetenzgesellschaft

Andreas Schleicher, der Bildungsdirektor der OECD, bezeichnet sehr bewusst diese Zukunftskompetenzen als „die neue globale Währung“, denn von ihnen hängen „Identität, Handlungsfähigkeit und Sinnhaftigkeit“ ab sowie „Neugier und Wissendurst, Mitgefühl und Mut“ – und zwar durch „die Fähigkeit, unsere kognitiven, sozialen und emotionalen Ressourcen zu mobilisieren“. Diese „werden unsere besten Waffen gegen die größten Bedrohungen unserer Zeit sein“, schreibt Schleicher im Vorwort zum großen „FUTURE SKILLS“-Standardwerk, das er als „einzigartig“ bezeichnete in der „Qualität eines echten Praxisbuchs“, denn „damit können Lernende und Lehrende zu Entfaltenden der eigenen Potenziale und zu Zukunftsgestaltenden werden. Für und bei sich selbst. In Teams, in Organisationen, in der Gesellschaft.“

Wissen wird zwar auch im 21. Jahrhundert keineswegs an Bedeutung verlieren, aber der Zugang zu Wissen wird durch zwei Faktoren erheblich erleichtert und verbessert:

Zum einen wird er radikal erleichtert durch digitale Wissens- und Lernangebote (Google weiß alles und Lernplattformen vermitteln immer mehr alles in passender Weise für jeden Menschen und in jeder Lebensphase). Salman Khan, der Erfinder und Entwickler der ersten digitalen Lernplattform, der Khan Academy, artikulierte bereits 2012 auf der Grundlage seiner Erfahrungen das „Grundrecht auf beste (Wissens-)Bildung für alle“ und zugleich das „Grundrecht auf vollständiges Verstehen allen erworbenen Wissens für alle“. Studien bestätigten, dass sich mit seinen digitalen Angeboten sowohl die Geschwindigkeit und Leichtigkeit wie auch die Tiefe des Verstehens beim Wissenslernen radikal verändern.

Zum zweiten wird klassisches Wissenslernen fundamental erleichtert und vertieft durch jedes einzelne „Life Skill“. Denn jede Lebenskompetenz vertieft und vernetzt jegliches Wissen und erzeugt damit eine grundlegend neue Qualität von systemischem Verstehen und Anwenden von Wissen. Jede menschliche und zwischenmenschliche Lebenskompetenz vertieft insbesondere die kollaborative Kompetenz aller – in jedem Lernprozess wie in jedem Umsetzungsprozess von Gelerntem, also beispielsweise durch Teamlernen oder Peer-to-Peer-Lernen sowie durch Praxislernen in Projekten.

Peter Spiegel Portrait beim Vortrag

Der schönste und wertvollste Beruf im 21. Jahrhundert

Wie wichtig Wissenserwerb für jeden Menschen ist und ebenso für jede Gesellschaft als Grundvoraussetzung für deren Zukunftsentwicklung und Wohlstand, setzte sich im 20. Jahrhundert als Grunderkenntnis weltweit durch. Dementsprechend wurde der Zugang zu Wissen 1948 zum Allgemeinen Menschenrecht erklärt. Die Staaten nahmen nach und nach alle die Bereitstellung der Voraussetzungen für Wissenserwerb in der Breite und Tiefe als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an.

Für das 21. Jahrhundert brauchen wir entsprechende Weichenstellungen für den nächsten überfälligen notwendigen und notwendenden Schritt zu einer umfassenden Kompetenzen-Bildung. Future-Skills-Bildung mit ihrem Kern der Lebensschlüsselkompetenzen muss zum Kern des neuen Verständnisses des universellen Menschenrechts auf Bildung werden. Doch die damit verbundene tiefgreifende Weiterentwicklung und Transformation von Lernen und Leben muss ungleich schneller gemeistert werden als bei der Etablierung allgemeiner Wissensbildung. Der Grund: Der Haupteffekt der Digitalisierung ist die parallele und gleichzeitige exponentielle Beschleunigung nahezu aller Entwicklungen in der Welt.

Das betrifft insbesondere die exponenzielle Beschleunigung von Wissen und dessen immer kürzerer Halbwertszeit. In einem technisch orientierten Studium ist bereits heute im dritten Semester die Hälfte des bis dahin Gelernten überholt. Fakten wie diese aus der digitalen Beschleunigungswelt werden in dem 2007 gestarteten weltweiten Erfolgsvideo „Did you know“ jährlich upgedatet und ergänzt. Sie führen immer schärfer zur immer selben Kernfrage: „Wie können wir uns in einer solchen Welt vorbereiten auf eine Zukunft mit Jobs, die noch nicht existieren, für Technologien, die noch nicht erfunden sind, für die Lösung von Problemen, von denen wir noch nicht wissen, dass sie entstehen werden?“

Der Pionier moderner Managementlehre, Peter Drucker, erkannte schon vor zwei Jahrzehnten: „Die einzige Kompetenz, die im 21. Jahrhundert wichtig sein wird, ist die Kompetenz, neue Kompetenzen zu lernen. Alles andere wird mit der Zeit obsolet werden.” Was nicht obsolet wird, sondern unverzichtbar und immer wertvoller für alle – ob als Individuum, als Organisation, als Unternehmen oder als Gesellschaft – sind zukunftstaugliche Werte, Haltungen und Kompetenzen.

Die lehrenden und lernbegleitenden Berufe werden sich unweigerlich dementsprechend tiefgreifend weiterentwickeln müssen und zu den schönsten aller Berufen werden. Warum? Weil es zu ihrem fortentwickelten Berufsprofil gehört, die zutiefst menschlichen Schlüsselkompetenzen besonders intensiv selbst zu lernen, einschließlich der Kunst von deren Weitervermittlung. Die Qualifikation multipler Lernbegleitung wird erheblich an Bedeutung gewinnen, und das heutige Berufsbild von Lehrerinnen und Lehrern wird sich deutlich in Richtung Lernbegleitende bzw. Lerncoaches verschieben. Die Verknüpfung von Wissen und Kompetenzen in den Lernprozessen für das 21. Jahrhundert wird alle diese entsprechend fortentwickelten Berufe zu den wichtigsten, attraktivsten und wertvollsten im 21. Jahrhundert werden lassen. Die Wertschätzung dieser Berufe in der Gesellschaft einschließlich deren Honorierung wird sich entsprechend der gesamtgesellschaftlichen Schlüsselbedeutung von Future Skills Learning skalieren.

FAZIT

Der Schulpsychologie kann, sollte, ja muss dabei eine Schlüsselrolle zukommen, denn mit ihrer Ausbildung sind Schulpsychologinnen und Schulpsychologen weitaus besser auf das rasche und erfolgreiche „Praxislernen“ von Future Skills vorbereitet, als dies derzeit Lehrerinnen und Lehrer sind. Schulpsychologinnen und Schulpsychologen werden der kürzeste und effektivste Weg sein, Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler „on the job in schools“ in die Befähigung zur Weitervermittlung der Lebensschlüsselkompetenzen zu begleiten.

Peter Spiegel ist Zukunftsforscher, Initiator des Future Skills Praxisbuchs und der Future Skills Initiative sowie Leiter des WeQ Institutes.

Literatur

  • Spiegel, P., Pechstein, A., Ternés, A., Grüneberg, A. (Hrsg.) (2021). Future Skills. 30 zukunftsentscheidende Kompetenzen und wie wir sie lernen können. München: Verlag Franz Vahlen. S. 8f.

Bitte klicken Sie hier um den Artikel "Future Skills" aus der Praxis Schulpsychologie Ausgabe 32 anzuzeigen

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