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- Manu

Mediation in der Schule

Auf dem 2. Deutsch-Niederländisch-Belgischer Psychologentag in Aachen hat Lothar Dunkel von schulpsychologie.de 1999 folgendes Dokument zur Verfügung gestellt. Es geht der Frage nach, wie Schulpsycholog:innen im Schulischen Kontext wirksam sein können. Teil 1 befasst sich mit Schulpsychologie und Mediation, Teil 2 mit Mediation zur Schulentwicklung.

Die Schulpsychologie hat sich verändert

So beginnt der Artikel und das hat nach wie vor Gültigkeit. Es ist viel passiert seit der Veröffentlichung und doch ist vieles sehr aktuell. Umschauen auf unseren Seiten lohnt sich.

Mediation in Schule

Zur Angleichung an die Konventionen zur Beachtung der Geschlechtervielfalt unserer Seite, haben wir diese im Artikel angepasst. Wir verwenden derzeit weibliche Pronomen mit ":" als Vielfaltszeichen und schließen mit diesen gedanklich alle Menschen ein.


Lothar Dunkel, D-Münster

Schule hat sich verändert - Schulpsychologie auch

Schule ist ein multi-professioneller Raum – und wird hoffentlich lebensnäher, wenn andere Professionen auch in diesen Bereich des Unterrichtens einbezogen werden. Schulpsycholog:innen in Nordrhein- Westfalen arbeiten in vielfältigen Formen mit den Schulen zusammen; nicht nur bezogen auf das einzelne Kind (Diagnose und Beratung), wie weithin bekannt ist.

Schulpsycholog:innen beteiligten sich auch z.B.

  • an Präventionsprojekten zur Persönlichkeitsentwicklung, zur Entwicklung sozialer Kompetenz, zur Förderung des Lernverhaltens etc., (häufig gemeinsam mit Sozialpädagog:innen und Erzieher:innen);
  • sie arbeiten mit einzelnen Schüler:innen und Schüler:innen-Gruppen zur Förderung (LRS etc.);
  • sie sind beteiligt an der Elternarbeit, z.B. bei thematischen Elternabenden, bei klassenbezogenen Elternabenden und in Elterngruppen.

In der Öffentlichkeit eher selbstverständlich ist die Zusammenarbeit mit Lehrer:innen

  • als Einzelberatung, beispielsweise in Bezug auf Unterrichtsmanagement oder einzelne Schüler:innen,
  • als schulklassenbezogene Beratung,
  • als Gruppenberatung für Lehrer:innen z.B. durch Supervision,
  • als Fortbildung, beispielsweise für Beratungslehrer:innen

und die Zusammenarbeit mit Schulleitungen

  • als Coaching oder Supervision der Schulleitung oder
  • Team-Entwicklung bzw. Konfliktberatung in Schulleitungs-Teams,
  • Supervision der Schulpsycholog:innen, auch im Rahmen der Schulleitungsfortbildung für Personen, die die Schulleitungsaufgaben neu übernommen haben,
  • und vereinzelt auch Supervision für Beamt:innen der Schulaufsicht

Eher ungewöhnlich, aber Praxis in der Stadt Münster, ist

  • Training von Hausmeister:innen und Sekretär:innen, z.B. im Hinblick auf den Umgang mit schwierigen Schüler:innen an Sonderschulen für Erziehungshilfe oder Menschen mit Lernbehinderung

Schulpsycholog:innen leisten weit mehr als Diagnose und Beratung: im Arbeitsbericht der Stadt Münster [sowie auch in vielen anderen Ländern und Beratungsstellen (Anm. d. Red.)] sind z.B. folgende Tätigkeiten der Schulpsycholog:innen genannt:

  • kooperieren
  • stärken, das schließt Hilfe bei Rollenklärungen mit ein,
  • fördern
  • aktivieren
  • begleiten
  • unterstützen
  • supervidieren
  • beraten
  • helfen

Stärken, Aktivieren, Begleiten und Unterstützen sind Aktivitäten, die in gleicher Weise zur Aufgabe von Mediator:innen gehören.

Die Vielfalt der Aktivitäten und Aufgaben und die unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit machen es unbedingt erforderlich, dass die Schulpsycholog:innen in der Zusammenarbeit mit den Schulen für Rollenklarheit sorgen. Die Zusammenarbeit wird erschwert, wenn wegen fehlender Transparenz und Klarheit im Arbeits-Kontrakt nicht klar genug ist, welche Erwartungen die Schule (Lehrer:innen, Schulleitung, Eltern) im konkreten Fall hat und welche Rollen und Aufgaben die Schulpsycholog:innen übernehmen können und übernehmen wollen.

Schulpsycholog:innen können beispielsweise sein:

  • Diagnostiker:innen
  • Berater:innen
  • Mediator:innen
  • Anwält:innen / Interessenvertreter:innen
  • Therapeut:innen
  • Organisationsentwickler:innen
  • Supervisor:innen
  • Fortbildner:innen
  • ...

Wenn Schulpsycholog:innen als Mediator:innen tätig sein wollen, ist es wichtig, allen Beteiligten diese Rolle klarzumachen und das dafür notwendige Verhalten zu demonstrieren.

Schulen haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Es ist eine komplexe Situation, in der unterschiedliche Personen und Gruppierungen auf die Schule einwirken und in ihr zusammenwirken. Der Auftrag der Schule ist ebenfalls komplexer geworden. Der gesellschaftliche Konsens über das, was die Alten den Jungen übermitteln sollen, was richtig und falsch ist, ist konfrontiert mit einer multikulturellen Meinungsvielfalt, in der die unterschiedlichen Vorstellungen nicht immer einträchtig nebeneinander existieren, sondern auch gegensätzlich und unvereinbar sein können.

Deshalb gehören Konflikte in der Schule zur Tagesordnung –

Konflikte und Aushandeln gehören deshalb auch auf die Tagesordnung der Schulen.

Konflikte sind alltäglich – Schulpsycholog:innen können Mediator:innen sein

Mehr denn je brauchen Schulen in der heutigen Zeit eine Kultur des Aushandelns. Konflikte sind alltäglich und müssen im schulischen Rahmen akzeptiert und ausgehandelt werden. Wenn dies von den Beteiligten alleine nicht hinreichend schnell oder gut genug geleistet werden kann, ist es sinnvoll eine Mediator:in hinzuziehen. Von ihrer Aufgabenstellung her sind Schulpsycholog:innen in Deutschland prädestiniert, Mediationen in der Schule zu übernehmen.

Ihre Arbeitsbedingungen und ihre Professionalität zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass Schulpsycholog:innen:

  • neutral
  • unabhängig
  • verschwiegen
  • unparteilich / allparteilich
  • direkt erreichbar
  • nahe am System und
  • dort bekannt sind.

Schulpsychologie ist zudem ein kostenfreies Dienstleistungsangebot für die Schulen.

Der Begriff der Mediation ist in Deutschland relativ neu, aber Schulpsycholog:innen haben immer schon und lange bevor dieser Begriff so populär wurde als Konfliktberater:in und –vermittler:in in Schulen gearbeitet. Kooperation und Kommunikation zu fördern war schon immer ein Schwerpunkt schulpsychologischer Arbeit; dies schließt auch das Arbeiten im Hinblick auf konstruktive Konfliktlösungen mit ein. Schließlich ist Schule ja für viele Beteiligte kein Raum, der nur freiwillig aufgesucht wird und deshalb ist es erforderlich, immer wieder neue Anstrengungen zu unternehmen, um die Beziehungen der beteiligten Menschen mindestens auf einem neutralen Niveau zu halten und ein Minimum an Kooperations- und Arbeitsfähigkeit zu erzeugen, damit die schulische Arbeit der Erziehung und Bildung möglich bleibt.

Im nun neu entwickelten bzw. evtl. auch nur neu etikettierten Arbeitsbereich der Mediation sollten Schulpsycholog:innen ihre möglichen Leistungen und Einsatzbereiche für die Schule formulieren und nach außen tragen. Die verschiedenen Konfliktparteien, die in unterschiedlichen Konfliktkonstellationen aneinander geraten können, sollten wissen, dass Mediation ein schulpsychologisches Angebot ist. Nur dann können sich Konfliktparteien an Schulpsychologische Beratungsstellen wenden, wenn sie im Konfliktfall eine Vermittlung wünschen.

Konfliktkonstellationen, die im Schulbereich häufig sind und an Schulpsycholog:innen herangetragen werden, sind z.B.

  • Lehrer:innen – Eltern
  • Schüler:innen – Lehrer:innen
  • Lehrer:innen - Lehrer:innen
  • Schulleitung - Lehrer:innen
  • Sozialpädagog:innen - Lehrer:innen
  • Schüler:innen – Eltern
  • Schule – Schulaufsicht
  • Hausmeister:in – Schulleitung
  • Hausmeister:in – Lehrer:in

Konfliktinhalte sind dabei beispielsweise:

  • Verhalten von Schüler:innen
  • Leistungsbeurteilung und Noten
  • Erziehungsziele, Erziehungsstile
  • Pädagogische Zielsetzungen, Werte,
  • Schulprofil und schulische Schwerpunkte
  • Persönliche Vorlieben, Abneigungen etc.
  • Disziplinfragen

Wollte man die Konfliktarten klassifizieren, könnte man z.B. von Verteilungs-, Kommunikations- und Interaktionskonflikten sprechen (zur Schwierigkeit plausibler Typologisierung von Konflikten sei auf Glasl (1997 "Konfliktmanagement") verwiesen).

Beispiel einer Mediation der Schulpsychologischen Beratungsstelle der Stadt Münster

Die Beratungsstelle erreicht die Bitte einer Grundschule um Konfliktvermittlung.
Die Situation und vorausgehende Entwicklung des Konflikts an der anfragenden Schule lassen sich wie folgt skizzieren.

Situation

Erstes Schuljahr: Sechs Wochen nach Unterrichtsbeginn hat die Lehrerin sich mit dem allein- erziehenden Vater eines Schülers so überworfen, dass Vater und Lehrerin nur noch über Rechtsanwälte miteinander kommunizieren.

Der Vorwurf des Vaters ist: Die Lehrer:in habe sich mit anderen Eltern über seine Situation und seinen Sohn unterhalten. Dies sei ein Vertrauensbruch.

Die Darstellung der Lehrer:in dagegen lautet: Sie habe mit anderen, beteiligten Eltern über die Situation in der Klasse und den schwierigen Schüler gesprochen – dies, um Hilfe und Unterstützung für diesen Jungen zu finden.

Ein großer Teil der Elternschaft ist in die Situation verwickelt. Die täglichen Begebenheiten in der Klasse, vor allem bezogen auf diesen Jungen, sind ein belastender Gesprächsstoff in vielen Elternhäusern.

Die Vorsitzende der Klassenpflegschaft hat auf Wunsch einiger Eltern in Absprache mit der Lehrer:in und der Schulleiter:in eine Elternversammlung einberufen, um die Situation zu klären.

Mediation

Die Schulleiter:in befürchtet auf dem Elternabend eine unkontrollierbare Eskalation und bittet deshalb die Schulpsychologische Beratungsstele um die Leitung der Elternversammlung

Das Team der Beratungsstelle berät sich und entscheidet, dass die Übernahme dieser Mediation angebracht und möglich sei. Die Aufgabe wird einer Mitarbeiter:in übertragen.

Am Elternabend sind anwesend:

  • die Schulleiter:in,
  • die Lehrer:in,
  • ca. 90 % der Eltern, darunter der Vater des Jungen mit seiner Lebensgefährtin,
  • die Schulpsycholog:in.

Zu Beginn des Abends stellt die Schulleiter:in die Schulpsycholog:in und ihr Anliegen vor. Die Schulpsycholog:in beschreibt ihre Mediator:innen-Rolle mit den folgenden Punkten.

  • Allen Anwesenden gegenüber sei er in gleicher Weise verpflichtet.
  • Alle Anwesenden würden die Möglichkeit erhalten, ihre Sichtweise der Situation zu schildern.
  • Alle Anwesenden würden die Möglichkeit erhalten, Lösungsvorschläge zu machen.
  • Ziel des Abends sei es, eine Vereinbarung aller Beteiligten zu erstellen, die ein von allen gewünschtes Weiterarbeiten in der Klasse ermögliche.

Alle Anwesenden stimmten dem Vorgehen und damit dem Mediationsprozess zu.

Folgenden Methoden werden verwendet und eingesetzt:

  • Situation darstellen lassen
  • Zu Wort kommen lassen
  • Rück- und Nachfragen ermöglichen
  • Gemeinsamen Gesprächsgegenstand formulieren und bestätigen lassen
  • Gegenseitige Wünsche äußern lassen
  • Lösungsmöglichkeiten formulieren (lassen)
  • Vereinbarungen treffen

Fazit

Dieser Konflikt konnte mit Mediation bearbeitet werden, weil alle Beteiligten diesem Verfahren zugestimmt hatten. Die Schulpsycholog:in war auf Grund vorausgegangener Zusammenarbeit an dieser Schule bekannt und konnte als Mediator:in leicht angesprochen werden. Sie konnte diese Aufgabe übernehmen, da ihr die Schule bekannt war und Grundinformationen über das System nicht mehr vermittelt werden mussten. Eine Fremde oder eine auf Mediation spezialisierte Einrichtung wäre von der Schule sehr wahrscheinlich nicht angesprochen worden, da der Aufbau von Kooperation in solch einer krisenhaften Situation selbst zu aufwendig gewesen wäre.

Folgerungen: Schulpsychologische Beratungsstellen als Mediationsinstitution

  • Bekanntheit, Vertrautheit:

Die anfragende Schulleiter:in wagte es die Schulpsychologische Beratungsstelle um Hilfe zu bitten, weil sie die Schulpsycholog:innen bei anderen gemeinsamen Arbeiten kennengelernt hatte und ihnen vertraute.

  • Schulnähe:

Die Schulpsychologische Beratungsstelle konnte die Anfrage aufgreifen, weil die Situation der Schule generell durch die bisherige Zusammenarbeit dort bekannt war und die Konfliktdimensionen vorab grob eingeschätzt werden konnten.

  • Fachlichkeit der Schulpsychologie:

Der Konflikt war mit den unmittelbar Beteiligten bereits eskaliert; Personen im Umkreis – andere Eltern, Schulleitung und Schulaufsicht – hatten mit ihren Möglichkeiten bislang erfolglos interveniert, so dass das Hinzuziehen fachlich besonders versierter Personen dringend erforderlich schien.

  • Follow-Up:

Je nach weiterer Entwicklung der Situation in der Klasse kann die Schulpsychologische Beratungsstelle wieder einbezogen werden. Eine Ergänzung des Unterstützungsangebots, in der die Schulpsycholog:in in einer anderen Rolle als der der Mediator:in tätig wird, ist möglich.

Teil 2 - Mediation zur Schulentwicklung – Schulentwicklung zur Mediation

Dunkel, L. & Wichterich, H. (1999) Mediation in Der Schule - Schulpsychologie und Mediation (pdf)